Immer deutlicher werden die warnenden Worte, die aus Industrie, Gewerbe und Handwerk zu vernehmen sind. Allein in der deutschen Chemieindustrie ging in den letzten zwei Jahren 23 Prozent der Produktionsmenge verloren. Wie in der Chemie so droht auch in allen anderen energieintensiven Branchen ein historischer Einbruch.
„Die neusten Zahlen über die Entwicklung der Industrieproduktion in Deutschland machen mir Sorgen“, erklärte unlängst Jens Südekum, Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Auch andere Wissenschaftler warnen vor einer fortschreitenden Deindustrialisierung Deutschlands, weil die Politik die Standortbedingungen immer weiter verschlechtere.
So hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) errechnet, dass bereits 2022 rund 132 Milliarden Dollar mehr Direktinvestitionen aus Deutschland abgeflossen sind, als im gleichen Zeitraum in die Bundesrepublik investiert wurden. Höhere Netto-Abflüsse hatte Deutschland noch nie zu verzeichnen und unter allen OECD-Staaten verzeichnet die Bundesrepublik damit den höchsten Kapitalabfluss.
Deutschland blutet langsam aber stetig aus
So wundert es nicht , dass die vier Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft (DIHK, BDA, BDI und ZDH) im Februar in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz Alarm geschlagen haben: „Der Frust und die Verunsicherung bei vielen Betrieben wachsen – und die Verlagerung von industrieller Produktion ins Ausland nimmt zu“, warnte der ungewöhnliche Brandbrief, der die Bundesregierung zum Handeln aufrief. „Wir appellieren dringend an Sie und die gesamte Bundesregierung, jetzt Maßnahmen zu ergreifen.“
Einer Befragung der Wirtschaftsprüfungsfirma Deloitte und des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) zufolge verlagern aktuell bereits 67 Prozent der Unternehmen Teile ihrer Produktion ins Ausland. Dies geschieht vor allem in Deutschlands Schlüsselbranchen Maschinenbau/Industriegüter, Chemie und Automobil.
„Die Deindustrialisierung findet bereits in erheblichem Umfang statt. Wenn die Rahmenbedingungen so bleiben, werden sehr wahrscheinlich mehr Unternehmen folgen und zunehmend wichtigere Teile der Wertschöpfung abwandern“, fürchtet Florian Ploner, Industrieanalyst und Partner bei Deloitte.
Viele Baustellen, kaum Lösungsansätze
Nicht nur die Unternehmen selbst suchen derzeit das Weite. Die Investoren reagieren ebenso. Schon seit Jahren gehört die Investitionsquote in Deutschland zu den niedrigsten in allen Industrieländern und die deutsche Politik tut wenig, um an diesem für die Zukunft so entscheidenden Zustand etwas zu ändern.
Stattdessen liegt der Fokus auf der Energiewende. Sie verteuert nicht nur Energie in einem extremen Maß, sondern erschwert durch die planwirtschaftliche Art und Weise mit der sie realisiert wird auch dazu, dass neue Investitionen nicht mehr hier, sondern im Ausland getätigt werden.
Als weitere Belastungsfaktoren kommen ein geschwächtes Bankensystem und eine extrem hohe und komplizierte Besteuerung hinzu. Auch in den Bereichen Infrastruktur und Bildung weist das Land mittlerweile deutliche Standortnachteile auf und ist dabei, seine Zukunft und damit auch seinen Wohlstand zu verspielen.