Hallo allerseits!
Die Qual der Wahl ist zu Ende. Aber nur die. Denn am Tag danach gibt es zwar Willensbekundungen, mit Tempo die Regierungsbildung anzugehen. Doch bleiben aus Erfahrung Zweifel, dass dies unseren Demokraten auch gelingen wird. Alle sehen sich unter Zeitdruck beim Projekt „Aufbruch für ein modernes Deutschland“. Optimistische Beobachter werden aufatmen, denn hinter der Bereitschaft, in angemessener Zeit ein funktionstüchtiges Bündnis zu schmieden, steht ein ganzes Gebirge von anspruchsvollen politischen Weichenstellungen. Immerhin, schon am Wahlabend und in den Stunden unmittelbar danach gab es die ersten zwischenparteilichen Kontaktaufnahmen.
Positiv zu werten ist, dass die Ränder im Parteienspektrum entscheidend geschwächt worden sind. Die Bundesbürger haben also die Mitte gestärkt. Das wird auch im Ausland mit wachem Auge verfolgt. Denn nicht zuletzt unsere europäischen Nachbarn setzen auf ein politisch und wirtschaftlich starkes Deutschland. Allerdings wird das Bild durch die herben Stimmenverluste der CDU/CSU und die schwierige Koalitionsbildung getrübt. Die Finanzprofis einschließlich der Akteure an den Devisen- und Aktienmärkten haben spontan mit Gelassenheit reagiert.
Im Folgenden habe ich typische Beispiele von Stellungnahmen namhafter Unternehmen aus der Banken- und Investmentwelt zusammengetragen. Sie ergänzen sich bzw. sind im Tenor ähnlich.
Zuversichtlich sind die Anlagestrategen der DZ Bank: Politische Kontinuität dürfte die Aktienkurse auch künftig wachsen lassen. Am deutschen Aktienmarkt herrscht Erleichterung, der harte „Linksruck“ ist ausgeblieben. Ein Linksbündnis ist die einzige Regierungskonstellation, die als Belastung für den Aktienmarkt empfunden worden wäre. Ob es zu Jamaika, einer Ampel oder gar einer großen Koalition kommt, macht für die im Dax und anderen Indizes notierten Unternehmen kaum einen Unterschied. Zu international ist ihr Geschäft in den letzten Jahren geworden. Breit angelegte Steuermaßnahmen für Unternehmen, die den Markt tatsächlich hätten bewegen können, waren von den Parteien ohnehin nicht geplant. Klar ist aber auch, dass die Aktienmärkte Jamaika einer Ampel-Koalition vorziehen würden. Auf diese Weise gäbe es für den Markt weniger Berührungspunkte mit einer SPD-geführten Regierung, die vom Markt oft kritisch gesehen wird.
Für ausländische Investoren ist wichtig: Unabhängig vom Ausgang der Koalitionsverhandlungen bleibt Deutschland ein politisch sicherer Hafen in Europa. Einen polarisierenden Regierungschef wie Donald Trump in den USA oder Boris Johnson in Großbritannien wird es in Deutschland auch in Zukunft nicht geben. Ein Bundeskanzler Scholz oder Laschet stünde für Kontinuität in der deutschen Politik. Viele Deutsche würden sich sicherlich mehr Aufbruchsstimmung wünschen, aber internationale Investoren bevorzugen genau diese Kontinuität. Sie gibt ihnen die Sicherheit, dass deutsche Unternehmen auch in Zukunft wachsen und ihre Aktienkurse steigern können. Die FDP und die Grünen haben in den vergangenen Wochen auffallend intensiv darüber gesprochen, wie sehr die Digitalisierung und der Klimawandel im Fokus stehen, nicht zuletzt, weil viele junge Wählerinnen und Wähler auf die beiden Parteien gesetzt haben. Umfangreiche Fördermaßnahmen für erneuerbare Energien scheinen beschlossene Sache zu sein. Das könnte einigen Unternehmen an der Börse Auftrieb geben. Details sind aber erst in einigen Monaten zu erwarten. Wir hoffen jedoch, dass sich hier keine neue Investitionsblase entwickelt, wie es vor gut zehn Jahren am deutschen Photovoltaikmarkt der Fall war.
Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege der Deutschen Bank, bleibt nach der Bundestagswahl aktienfreundlich: Für die langfristige Entwicklung der Wirtschaft und Märkte spielt die wirtschafts- und fiskalpolitische Ausrichtung der neuen Bundesregierung eine wichtige Rolle. Marktwirtschaftliche Elemente dürften in einer Jamaika-Koalition am stärksten zum Tragen kommen, weil sowohl CDU/CSU als auch FDP massive administrative Eingriffe beispielsweise in der Klimapolitik und am Wohnungsmarkt ablehnen, während sie gleichzeitig auf die Einhaltung staatlicher Verschuldungsgrenzen setzen und Steuererhöhungen ablehnen. Eine solche Politik wird vom Markt als wachstumsfreundlich angesehen – Aktien sind in einem solchen Umfeld für Anleger besonders interessant.
Auch in einer Ampelkoalition dürften signifikante Steuererhöhungen zwar ausbleiben. Da SPD und Grüne aber auf einen Ausbau staatlicher Unterstützungsmaßnahmen setzen, könnten die fiskalischen Belastungen zunehmen. Auch möchten beide Parteien den Arbeitsmarkt stärker regulieren und den EU-Wiederaufbaufonds zu einem dauerhaften Hilfsmechanismus umbauen. Staatliche Eingriffe in der Klimapolitik und am Wohnungsmarkt sind wahrscheinlicher als bei einer Jamaika-Koalition, was das Umfeld für Unternehmen in den betroffenen Sektoren herausfordernder gestaltet. Insgesamt dürften sich die Perspektiven für Wirtschaft und Märkte bei einer Ampelkoalition aber nicht grundlegend verändern.
Welch hohen Stellenwert ausländische Investoren der Entwicklung Deutschlands beimessen, belegt auch das Statement von Ethenea Independent Investors, eine bankenunabhängige Kapitalverwaltungsgesellschaft mit Sitz in Luxemburg: Wie auch immer ein Regierungsbündnis letztendlich aussehen wird, eines steht fest – Deutschland steht an einem Scheidepunkt und die künftige Regierung wird die Zukunft des Landes entscheidend prägen. Nahezu alle Parteien haben sich die Digitalisierung und die Klimawende auf die Fahne geschrieben. Beides dürfte, wenn die künftige Regierung es schafft, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen, als zusätzlicher Turbo wirken, um den Umbau der Wirtschaft voranzubringen und Deutschland fit für die Zukunft zu machen. Davon dürften dann auch die Kapitalmärkte profitieren.
Meine Empfehlung: Behalten Sie die politischen Entwicklungen mit einem Auge im Blick, geschätzte Anleger. Und wer einigermaßen mutig ist, wird schwächere Tage zum weiteren Aufbau seiner Aktienposition nutzen.