Während des Kalten Krieges spielte die politische Musik vor allem hier in Europa, denn am Eisernen Vorhang prallten die Interessen der USA und der Sowjetunion für jeden deutlich sichtbar mit aller Macht aufeinander. Hier standen einander nicht nur zwei hoch gerüstete Militärbündnisse gegenüber, sondern entlang der die Systeme trennenden Grenze waren auch sowohl für die Sowjetunion wie auch für die Vereinigten Staaten die wichtigsten Verbündeten angesiedelt.
Doch seit 1989 haben sich die Schwergewichte verschoben, zunächst langsam und weitgehend unbemerkt, inzwischen aber deutlich stärker. Die aufstrebende Region der Welt ist heute Asien. Hier lebt nicht nur rund die Hälfte der Weltbevölkerung, sondern mit dem Erwachen Chinas entsteht den USA im Fernen Osten auch ein ernsthafter Konkurrent, der sowohl militärisch wie auch wirtschaftlich das Potential dazu hat, mit den USA mithalten zu können.
Unter der Präsidentschaft von Donald Trump haben die USA deutlich zu erkennen gegeben, wo sie die größte Herausforderung für sich selbst sehen. Präsident Joe Biden führt diese Politik konsequent fort. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger ist er im Verhältnis zu den europäischen Verbündeten zwar im Ton etwas moderater, aber in der Sache ebenso klar.
„Amerika hat keine ständigen Freunde oder Feinde, nur Interessen“
An dieser Stelle sind alle Europäer, Politiker, Diplomaten wie einfache Bürger, gut beraten, sich an eine Äußerung des früheren US-Außenministers Henry Kissinger zu erinnern, der einmal sagte: „Amerika hat keine ständigen Freunde oder Feinde, nur Interessen.“ Im ersten Augenblick wirken die Worte kalt und ernüchternd.
Beim näheren Hinsehen und Nachdenken eröffnen sie jedoch eine Freiheit im Denken, die zum eigenen Wohl genutzt werden kann. Wer weiß, dass er im Zweifel nicht mehr aber auch nicht weniger als ein Spielball amerikanischer Interessen ist, der sollte klug genug sein, keine „Nibelungentreue“ an den Tag zu legen, wenn man schon von Anfang an weiß, dass diese maximal ausgenutzt, aber nicht mit einer bleibenden Wertschätzung verbunden sein wird.
Dieses Wissen befreit zwar nicht aus politischen, militärischen und wirtschaftlichen Zwängen, weil es diese immer in der einen oder andern Form geben wird. Doch sie befreit das eigene Denken. Hier sollten die Europäer aktuell ansetzen und sich aktiv vergegenwärtigen, was es heißt, wenn ein hoher diplomatischer Vertreter der EU in diesen Tagen festhält: „Nüchtern betrachtet sind die USA das Land, das am meisten vom Krieg in der Ukraine profitiert“.