Über 200 Klagen in Karlsruhe gegen Merkels „Notbremse“

Merkel

Beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sind bis Ende vergangener Woche über 200 Klagen gegen die Bundesnotbremse eingereicht worden. Eine der prominentesten Klagen stammt von dem renommierten Staatsrechtler Prof. Dr. Dietrich Murswiek. Wir hatten berichtet. Die Beschwerden richten sich vor allem gegen die Ausgangssperren aber auch gegen die Änderung des Infektionsgesetzes generell. Zeitungen der Funke-Mediengruppe hatten berichtet.

Aussichten kaum zu beurteilen

Wie gut die Chancen stehen, dass den Beschwerden stattgegeben wird, ist fraglich. Josef Franz Lindner, Professor für öffentliches Recht an der Universität Augsburg, glaubt, dass die Erfolgschancen gut sind: „Maßnahmen wie die Ausgangssperre, die auf einer fragwürdigen Inzidenzzahl basiert und keine Ausnahmeregelung für geimpfte oder genesene Personen beinhaltet, sind klar unverhältnismäßig und eine eklatante Verletzung der Grundrechte“, sagte er.

Auch der ehemalige Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, der die Politik der Merkel-Regierung bereits des Öfteren kritisierte, meldete sich zur „Bundesnotbremse“. Papier hat Zweifel an deren Verfassungsmäßigkeit.

Er hält die Ausgangssperren „am problematischsten“, wie er der „FAZ“ mitteilte. Problematisch sei zudem der Inzidenzwert als „alleiniger Maßstab für die Grundrechtseingriffe“. Den Inzidenzwert von 165 als Richtwert für Schulschließungen bezeichnete Papier als „Willkür“. Seiner Ansicht nach lasse sich die „Politik zu viel Zeit, die Rechte der geimpften Personen zu regeln“.

Kritiker sehen gerade hier das Grundproblem: Grundrechte sollten nicht davon abhängig gemacht werden, ob eine Person geimpft ist oder nicht. Denn Grundwerte sollten nach dem Willen der Gründerväter des Grundgesetzes als unveräußerliche, bedingungslose Rechte gewahrt bleiben.

Papier sieht in dem Machtzuwachs für die Bundesregierung und dem Machtverlust für die Ministerpräsidenten der Länder „keinen Angriff auf den Föderalismus“. Auch diese Haltung ist Kritikern zufolge zu hinterfragen. Denn die Bundesregierung hat mit der Änderung des Infektionsschutzes so viel Entscheidungsbefugnis erlangt, dass sämtliche Corona-Maßnahmen ab dem von der Regierung definierten Inzidenzwert bundesweit und ohne die Zustimmung der Länderchefs verhängt werden können. Dies stellt einen massiven Eingriff in die Kompetenzen der Ministerpräsidenten dar, die diesem Machtentzug jedoch zustimmten.

Ob und wie das Bundesverfassungsgericht mit den über 200 Klagen verfahren wird, ist nicht abzusehen. Obwohl der Augsburger Professor für öffentliches Recht gute Erfolgschancen für die Beschwerden sieht, bleibt der Ausgang fraglich. Der neue Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, ist ehemaliger Bundestagsabgeordneter der CDU. Seine Berufung zum obersten Verfassungshüter hat Medienberichten zufolge für Zweifel über dessen Neutralität gesorgt.

Gegen seine Berufung waren sogar vier Verfassungsbeschwerden eingegangen, denn Harbarth gilt in Kritiker-Kreisen als „Merkels Mann“, ein Richter der nicht unabhängig sein und die Rechtsprechung als politischer Verteidiger der Bundesregierung auslegen soll – so zumindest die Befürchtung bei Kritikern.