Bundeskanzlerin Merkel und das Kabinett hatten am Dienstag beschlossen, die Änderung des Infektionsschutzgesetzes zugunsten einer Machtverschiebung für die Kanzlerin umzusetzen. Die Bundestagsabgeordneten wurden dazu aufgerufen, das Gesetz „schnell“ zu bestätigen. Die erneute Änderung des IfSG würde es der Regierung ermöglichen, ab einem bestimmten Inzidenzwert über Lockdowns und Ausgangssperren im ganzen Bundesgebiet zu bestimmen. Die Ministerpräsidenten wären de facto in ihren Kompetenzen beschnitten, der Föderalismus nur noch eine Worthülse, sollte das Gesetz in Kraft treten. Die Entscheidung im Bundestag steht noch aus.
Kritischer, interner Vermerk
Ausgerechnet eine Juristin aus dem Kanzleramt hat nun Bedenken bezüglich der als „Corona-Notbremse“ bezeichneten IfSG-Änderung vorgebracht. Die „Bild“-Zeitung berichtete über einen internen, kritischen Vermerk der Juristin Susanne Jaritz, die im gesundheitspolitischen Referat des Kanzleramts arbeitet.
Jaritz formuliert darin juristisch begründeten Zweifel an der „Corona-Notbremse“, die Merkel durch den Bundestag bringen und – verfassungsrechtlich hoch bedenklich – ohne den Bundesrat verabschieden lassen will. Der juristische Vermerk ist laut „Bild“-Zeitung auch von sieben weiteren Referaten abgezeichnet.
Jaritz war Richterin am hessischen Landgericht und beschreibt, dass der „Gesetzentwurf an mehreren Punkten fachlich problematisch“ sei. Es sei „fragwürdig“, Verbote nur auf der Basis von Inzidenzen auszusprechen. In das Gesetz müssten auch andere Parameter wie der R-Faktor oder die Anzahl der ausgelasteten Intensivbetten aufgenommen werden. „Besonders“ problematisch sei die Schließung von Schulen und Kitas sowie die „Beschränkung der Anzahl von Kunden“ im Einzelhandel.
Diese Maßnahmen seien bereits an anderer Stelle gerichtlich gekippt worden, so Jaritz. Außerdem sei die „Verhältnismäßigkeit“ der Vorhaben durch die sogenannte „Corona-Notbremse“ vor Gerichten als rechtswidrig eingestuft worden.
Das Vorhaben der Kanzlerin wird offensichtlich auch in den eigenen Reihen als problematisch eingestuft. Offenbar versuchen die ersten Kanzleramts-Angehörigen sich von der Kanzlerin zu distanzieren, deren Versuche der Erweiterung ihrer Kompetenzen verfassungsrechtlich kaum noch vereinbar sind. Es bleibt also spannend zu beobachten, wie sich die Kanzlerin verhalten wird und ob die geplanten Gesetzesänderungen trotzdem durchgesetzt werden.
Sollte die Änderung in Kraft treten, würde die Regierung nach Meinung von Kritikern verfassungsrechtlich rote Linien überschreiten. Fraglich ist, ob und an welchem Punkt die Obersten Richter in Karlsruhe einschreiten würden. Oder sind diese, wie Kritiker manchmal betonen, die Erfüllungsgehilfen der Kanzlerin?