Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, kritisiert seit Monaten die Corona-Maßnahmen-Politik der Bundesregierung. Der Kritik von Hans-Jürgen Papier schloss sich vor kurzem der Staats- und Medizin-Rechtler Prof. Josef Franz Lindner an. Lindner ist der Ansicht, dass der „Dauer-Lockdown verfassungswidrig“ sei. Wenn die „Infektionszahlen sinken würden, müsse auch der Lockdown ein Ende haben“, erklärte der Professor von der Universität Augsburg: „In dem Moment, in dem wir sieben Tage unter 35 sind, muss ein großer Teil der Maßnahmen aufgehoben werden. Der Staat ist angesichts der massiven Folgeschäden der Corona-Maßnahmen verpflichtet, ein Öffnungskonzept vorzulegen“, so Lindner. Der „Dauer-Lockdown sei unverhältnismäßig und verfassungsrechtlich nicht haltbar“.
Hans-Jürgen-Papier kritisierte die Bundesregierung jetzt erneut. In einem Interview mit der „Welt“ (hinter Bezahlschranke) sagte er, dass „nicht nur Politiker vergessen würde, dass die Menschen dieses Landes freie Bürger seien“: „Die Menschen dieses Landes sind keine Untertanen. Grundrechte kann man nicht beliebig entziehen und neu vergeben“, sagte der ehemalige Verfassungsrichter. „Die Werteordnung unserer Verfassung war schon vor der Pandemie einer jedenfalls partiellen, schleichenden Erosion ausgesetzt, es waren Diskrepanzen zwischen Verfassung und politischer wie gesellschaftlicher Wirklichkeit zu verzeichnen. Aber seit einem Jahr müssen wir infolge der Pandemie Abweichungen von dieser Werteordnung feststellen, die sich niemand zuvor hat vorstellen können. Das gilt sowohl im Hinblick auf die Geltung der Grund- und Menschenrechte, als auch im Hinblick auf die Strukturen der parlamentarischen Demokratie.“
Papier erklärte, dass er den „Eindruck habe, dass Wert und Bedeutung der Freiheitsrechte sowohl von der Bevölkerung als auch der Politik unterschätzt werde“. Die Formulierung der Kanzlerin, „wenn die epidemische Lage so bleibe, könne es keine neuen Freiheiten geben“, sei der Ausdruck einer „irrigen Vorstellung, dass Freiheiten den Menschen vom Staat gewährt werden, solange diese mit den Zielen der Politik vereinbar seien“. Dabei sei es „umgekehrt“, so Papier. Die Grundrechte seien „als unverletzliche und unveräußerliche Menschenrechte des Einzelnen verbürgt“.
Ein ehemaliger Präsident des Obersten Gerichts fährt fort, Regierung und Kanzlerin zu kritisieren und attestiert diesen eine „irrige Vorstellung“ über die Werteordnung des Staates und Unverletzbarkeit der Grundrechte. Kritik von höherer, bedeutenderer und kompetenterer Stelle ist kaum möglich. Und dennoch scheint sie keinerlei Auswirkungen auf die Regierung zu haben. Diese fährt unbeirrt in ihrem politischen Wechselspiel des Freiheitsentzugs und der teilweisen Freiheitszugeständnisse fort.
Papier hat Recht, wenn er nicht nur die Regierung rügt. Der Großteil der Bevölkerung ist sich offenbar noch immer nicht dessen bewusst, dass Freiheitsrechte nicht gewährt oder entzogen werden können. Freiheit ist ein Recht, das den Menschen von höherer Stelle gegeben wurde – und es ist ein unveräußerliches Recht, welches niemand entziehen oder je nach „Folgsamkeit“ und unter bestimmten Bedingungen gewähren kann.