Während des Kalten Krieges und auch in den meisten der 32 Jahre danach waren die USA in einer ganz besonderen Weise auf Europa und den Nahen- und Mittleren Osten fokussiert. Diese Zeiten sind inzwischen vorbei, denn auch US-Präsident Joe Biden setzt nur fort, was Vorgänger Donald Trump bereits angestoßen hat: Die USA sehen China als ihren neuen Hauptkonkurrenten und rüsten sich für einen militärischen Schlagabtausch.
Dieser könnte durch die Taiwanfrage jederzeit anstehen. Dann muss Amerika Farbe bekennen und zu seinen Verpflichtungen im Fernen Osten stehen. Das kann die Weltmacht allerdings nur, wenn sie sich zuvor nicht in anderen Teilen der Welt zu stark militärisch engagiert und damit strategisch verzettelt hat.
Die USA sind deshalb dazu übergegangen, die Schlüsse aus der Erkenntnis zu ziehen, dass auch ihre militärischen Ressourcen begrenzt sind. Sollte aus der kalten Rivalität zu China eines Tages eine heiße werden, müssen die amerikanischen Streitkräfte sofort und in voller Stärke dort eingreifen können. Das wird nicht gelingen, wenn man in zweitrangigen Konflikten und Ländern zu stark präsent ist.
Afghanistan als Lehrbeispiel
Der überhastete Rückzug aus Afghanistan, der im vergangenen Jahr vollzogen wurde, zeigt exemplarisch die Richtung an, in die auf längere Sicht die Reise gehen wird. Untergeordnete Konflikte betrachten die USA nicht mehr als ihre Spielwiese und ziehen sich konsequent zurück.
Gravierende Folgen wird der amerikanische Strategiewandel vor allem für zwei Regionen der Welt haben: Europa und den Nahen- und Mittleren Osten. Letzterer wird zwar weiterhin reichlich mit amerikanischen Waffen versorgt werden, muss aber ansonsten seine Belange eigenständig regeln.
Die Botschaft ist bereits angekommen. Nicht umsonst haben zahlreiche arabische Staaten begonnen, sich um bessere Beziehungen mit Israel zu bemühen. Auch ihnen ist klar, dass sie es sich nicht leisten können, sowohl mit Israel wie auch mit dem Iran in einem dauerhaft schwelenden Konflikt zu stehen.
Europas Verteidigungsfähigkeit könnte schon bald getestet werden
In Europa hat vor allem der russische Präsident Wladimir Putin die Zeichen der Zeit verstanden. Er beginnt bereits damit, auszutesten, wie weit sein neugewonnener Freiraum schon angewachsen ist. Noch nicht so richtig in der veränderten Gegenwart angekommen sind hingegen die Staaten der Europäischen Union.
Hier fehlt bislang noch eine Vorstellung davon, welche Strategie in Zukunft verfolgt werden soll. Je länger dies so bleibt, umso mehr könnte der russische Präsident versucht sein, diese Schwäche zu seinem Vorteil auszunutzen.