Über die Zahl der Verluste, die Russlands Streitkräfte seit dem 24. Februar erlitten haben, kann nur gerätselt und spekuliert werden, denn genaue Zahlen liegen nicht vor. Nur zwei Punkte sind klar: Die Verluste sind hoch und sie sind so hoch, dass sie nicht ohne weiteres ersetzt werden können.
Russlands Präsident Wladimir Putin stellt dies vor ein Problem. Er verfügt zwar auf dem Papier mit etwa 900.000 aktiven Militärangehörigen und weiteren zwei Millionen Reservisten an sich über eine eindrucksvolle Streitmacht, kann diese aber zum größten Teil nicht einsetzen.
Das wurde schon zu Beginn des Krieges deutlich, als Russland die Invasion in der Ukraine mit lediglich 160.000 bis 180.000 Mann startete. Zu ihnen zählten die besten Einheiten, welche die russische Armee aufzubieten hat. Viele von ihnen sind nach den Kämpfen der letzten Woche nun personell und materiell stark ausgedünnt und deshalb nur noch begrenzt einsatzfähig.
Kriege sind in Russland nichts für Wehrpflichtige
Pro Jahr werden in Russland rund 260.000 junge Männer als Wehrpflichtige zu den Streitkräften einberufen. Für sie sind Kriegseinsätze jedoch nicht vorgesehen. Als in den letzten Wochen bekanntwurde, dass doch Wehrdienstleistende in die Ukraine geschickt worden waren, griff der Kreml sofort ein und setzte Strafuntersuchungen in Gang.
Damit wird deutlich, dass der Verlust von zum Militär eingezogenen Soldaten innenpolitisch nochmals ein deutlich heißeres Eisen ist, als der Verlust von Soldaten, die sich als Zeitsoldaten selbst um den Dienst im Militär bemüht haben. Die russische Invasionsarmee besteht deshalb fast nur aus Zeit- und Berufssoldaten. Ihre Zahl lässt sich nicht beliebig vermehren und das vor allem nicht schnell.
Das stellt Wladimir Putin und die russische Armeeführung vor ein Problem. Begrenzt man sich nur auf die zur Verfügung stehenden Berufssoldaten, müssen die Offensiven deutlich kleiner ausfallen und es besteht das Risiko, am Ende doch zu scheitern. Wird jedoch eine Generalmobilmachung verkündet, lässt sich einerseits die Propaganda von der angeblichen „Spezialoperation“ nicht mehr aufrecht erhalten.
Zum anderen drohen aufgrund des schlechten Ausbildungsstands der Rekruten hohe Verluste. Das könnte innenpolitisch in einem Aufstand der Mütter und Frauen enden. Über die Präferenzen von Wladimir Putin kann an dieser Stelle nur spekuliert werden, doch die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass ihm weder die eine noch die andere Lösung wirklich gefallen wird.