Wer in Realzeit beobachten möchte, was geschieht, wenn eine Notenbank die Anzeichen für eine anziehende Inflation ignoriert und den Dingen zu lange ihren Lauf lässt bzw. politischen Vorgaben folgt, der sollte seinen Blick in die Türkei richten. Dort hat die Teuerung im September einen neuen Höhepunkt erreicht, denn die Preise stiegen um 19,58 Prozent.
Besonders stark verteuert haben sich die Lebensmittel. Sie stellen gleichzeitig für die betroffene Bevölkerung jenen Teil der Lebenshaltungskosten dar, an dem man traditionell am wenigsten sparen kann. Seit dem März 2019 hatten die Türken keine ähnlich hohen Inflationsraten mehr erlebt.
Schon im August war die Teuerung bis auf 19,25 Prozent angestiegen und damit nahe an die 20-Prozent-Grenze herangerückt. Das offizielle Inflationsziel der türkischen Notenbank liegt mit fünf Prozent deutlich über den Inflationszielen der Europäischen Zentralbank und der US-Notenbank, dennoch ist es derzeit unerreichbar.
Die Zinsen werden gesenkt, nicht erhöht
Wer allerdings geglaubt hatte, die türkischen Zentralbanker würden die extrem hohe Teuerung in ihrem Land mit steigenden Zinsen bekämpfen, sah sich getäuscht. Mehr noch: Entgegen dem Rat von Experten wurde der Leitzins zuletzt sogar noch gesenkt, obwohl allgemein unter Ökonomen anerkannt ist, dass eine lockerere Geldpolitik die Teuerung eher treibt als begrenzt.
Aktuell liegt der Leitzins der türkischen Notenbank bei 18 Prozent und damit deutlich unterhalb der Teuerung. Sahap Kavcioglu, der Chef der türkischen Notenbank, führte die stark gestiegenen Lebensmittelpreise allerdings nicht auf die Geldpolitik seiner Zentralbank, sondern auf Dürre und andere Faktoren zurück. Ein Schelm könnte diese Gründe auch als „transitory“, also vorübergehend bezeichnen, wie das in Europa und den USA unter Notenbankern derzeit üblich ist.
Nachdem die Inflationsdaten bekannt wurden, wertete die türkische Lira um weitere 0,2 Prozent ab, sodass der Außenwert der Währung allein in diesem Jahr bereits um rund 17 Prozent nachgegeben hat. Ähnlich wie Deutschland ist auch die Türkei ein eher rohstoffarmes Land. Das bedeutet, dass die Importe aus dem Ausland mit Devisen bezahlt werden müssen. Damit verstärkt die Abwertung der Lira den ohnehin vorhandenen Druck auf die Preise zusätzlich.
Bis zum Ende des Jahres erwarten Experten weitere Zinssenkungen der türkischen Notenbank, sodass bis Mitte 2022 ein Leitzins von 15 Prozent erreicht sein könnte. Damit wird man die galoppierende Inflation vermutlich nicht in den Griff bekommen, wohl aber den türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdogan, erfreuen. Er steht für eine sehr unkonventionelle Geldpolitik und drängt massiv auf niedrige Zinsen in jeder Situation.