Gazprom liefert Gas nach Ungarn. In normalen Zeiten wäre eine derartige Meldung eigentlich keine Meldung, sondern eine reine Selbstverständlichkeit. Aber die Zeiten sind nicht mehr normal, zumindest nicht was das Erdgas betrifft. Das brisante an diesem Vorgang ist nicht die Gaslieferung an sich, sondern allein der Weg, den das Gas von Russland nach Ungarn nimmt.
Er führt nicht mehr wie bisher über die Ukraine, sondern über die neue TurkStream-Pipeline durch das Schwarze Meer in die Türkei. Von dort aus wird das Gas in die Balkanstaaten und bis nach Ungarn weitergeleitet. Die Ukraine sieht sich bereits umgangen. Ihr entgehen Transitgebühren, die bei einem Transport über die alten Routen fällig geworden wären. Was aus ihrer Sichtweise bewusst geschehen soll, um die Regierung in Kiew zu schwächen.
Der Vorwurf lautet deshalb, Russland setze das Erdgas als Energiewaffe ein, um der Ukraine gezielt zu schaden. Diese Formulierung wurde nicht ohne Grund gewählt, denn noch im Juli hatte US-Präsident Joe Biden gefordert, dass Russland Energie nicht als Waffe einsetzen dürfe. Mehr oder weniger direkt wird in Kiew deshalb jetzt die Forderung erhoben, Russland müsse mit Sanktionen belegt werden, weil es seine Verträge nicht einhalte und stattdessen sein Erdgas als Waffe einsetze.
Verträge einhalten, aber kein weiteres Entgegenkommen
An Gazprom perlt die Kritik aus Kiew derzeit ab. In einer kurzen Pressemitteilung teilte man lediglich mit: „Heute starteten russische Erdgaslieferungen nach Ungarn und Kroatien über eine neue Route.“ Ansonsten wird betont, dass man zu seinen vertraglichen Pflichten stehe und diese auch einhalte. Sei das in den interenationalen Verträgen geregelte Gasvolumen allerdings erfüllt, könne man seine Transportrouten frei wählen.
Es ist billig, in dieser angespannten Lage auf dem Gasmarkt mit dem Finger auf Gazprom zu zeigen und allein bei den Russen den Schwarzen Peter zu verorten. Fair ist dies allerdings nicht. Dabei ist unbestritten, dass die aktuelle Situation der Firma in die Karten spielt und diese nicht zögert, ihre Vorteile aus der aktuellen Lage zu ziehen.
Das haben die jetzt laut klagenden Europäer im vergangenen Jahr auch getan. Sie haben Gazprom dazu gedrängt, Lieferverträge mit kürzeren Laufzeiten abzuschließen. Sie waren es, die den für das russische Gas zu zahlenden Preis nicht an das Öl, sondern an den Preis am Spot-Markt binden wollten.
Im vergangenen Jahr, als der Spottpreis abstürzte, kam ihnen diese Lösung entgegen, während sie sich in diesem Jahr als ausgesprochen teuer herausstellt. Wenn die Europäer von Gazprom erwarten, dass der Konzern die Marktrisiken trägt, dann müssen sie auch damit leben können, dass die Russen jetzt einseitig die Vorteile der aktuellen Situation genießen, während sie selber die höheren Kosten zu stemmen haben.
Hinzu kommt, dass Gazprom den Preis für das Erdgas nicht alleine bestimmt und schon gar nicht einseitig diktiert. Ein wesentlicher Grund für den stark gestiegenen Gaspreis ist die hohe Nachfrage in Asien. Sie führt dazu, dass mehr Flüssiggas seinen Weg von den USA und aus dem arabischen Raum nach Asien nimmt und bei uns in Europa nicht zur Verfügung steht.