Ein Industrieland befreit sich zwanglos von seinem einst funktionierenden Stromnetz. Zur Aufführung kommt dieses beeindruckende Schauspiel seit der Energiewende im Jahr 2011 in Deutschland. Bislang hat nur die Fachwelt im In- und Ausland gestaunt. Jetzt dürften auch die ersten Deutschen langsam aufwachen und sich Gedanken darüber machen, welchen Preis sie für anhaltendes Wunschdenken in Zukunft zu zahlen haben werden.
Am vergangenen Mittwoch erreichte die Aufführung des Dramas einen neuen traurigen Höhepunkt, denn der Deutschen Bahn ging der Strom aus. Kurzfristig teilte die DB Energie der Bahn mit, dass in verschiedenen Kraftwerken Wartungsarbeiten durchgeführt würden. Der dadurch verursachte Ausfall von Kraftwerkskapazität werde zu einer Unterversorgung des Stromnetzes führen.
Kurzfristig konnte sich die Bahn nur so helfen, dass die sie die von ihr selbst ausgehende Belastung des Stromnetzes reduzierte und den Güterverkehr stoppte. Die Konsequenz dieser Entscheidung erinnerte an frühere Streiks der Lokführer. Nichts ging mehr und Güterzüge mit wichtigen Lieferungen für die Industrie standen unbewegt auf den Abstellgleisen.
Erst das Schienen-, jetzt das Stromproblem
Mächtig sauer auf die Deutsche Bahn sind nun die Kunden im Güterverkehr. Sie wollen die Bundesnetzagentur einschalten, sollte sich herausstellen, dass in der vergangenen Woche nur Güterzüge stillgelegt worden sind. Der Ärger ist verständlich, denn durch die Just-in-time-Produktionsweise der Industrie sind die Auswirkungen von unpünktlichen Güterzügen inzwischen ebenso gravierend wie jene von verspäteten S-Bahnen oder ICEs.
Das Problem mit dem fehlenden Strom ist neu. Altbekannt ist hingegen das Problem mit dem Schienennetz. Es hat seine Kapazitätsgrenzen erreicht. Auch wenn Politiker in ihren Sonntagsreden immer wieder fordern, dass mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert werden sollt, so geht das gar nicht, weil die dazu benötigten Schienen einfach nicht vorhanden sind.
Auch nur wenigen bewusst ist, dass die Bahn kein klassischer Stromverbraucher mit relativ gleichmäßiger Nachfrage ist. Rollt ein ICE-4 mit 13 Wagen auf dem Bahnsteig an, werden über die Stromabnehmer 11.500 Kilowatt aus dem Netz gezogen. Das entspricht dem Verbrauch einer kleinen Stadt mit 5.000 Einwohnern. Diese Abnahme reduziert sich deutlich, wenn der Zug nur noch rollt. Beim Bremsen wird sogar wieder ein wenig Energie ins Netz eingespeist.
Da an den größeren Bahnhöfen jedoch ständig mehrere Züge ein- und ausfahren summiert sich das Problem für die Bahn zu einer wahren Herkulesaufgabe, die eine große Rechenkapazität erfordert, damit deutschlandweit im gesamten Netz immer die Energie zur Verfügung steht, die gerade benötigt wird.