Hallo allerseits!
Zufrieden sind die Deutschen nicht (wann sind sie das?). Themen zum lauten Meckern haben sie genug: das Wetter, die umstrittenen Reiseeinschränkungen, der Test- und Impf-Zoff, Probleme in Kitas und Schulen, keine Zinsen – und jetzt auch noch die Inflation. Trotz allem halten sich die Aktienkurse auf höchstem Niveau. Kaum zur Kenntnis genommen wird in diesen Tagen der überraschend positive Arbeitsmarkt: Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sind trotz des Beginns der Sommerpause weiter kräftig gesunken. Das Wachstum der Beschäftigung hält an, die Unternehmen suchen vermehrt nach neuem Personal.
Unterstützt von der Boulevardpresse breitet sich aus unterschiedlichen Gründen Unzufriedenheit aus, die in der inflationären Verwendung von „Unsicherheit“ ihren Ausdruck findet. Und die Inflation selbst gilt hierzulande wegen der schlimmen Erfahrungen als Stimmungskiller (bekannt als „German Angst“). Dem halte ich entgegen: Bleibt gelassen, Leute, denn der jüngste Sprung der Teuerungsrate ist (noch) kein Anlass für Panik.
Nachdem in den USA kürzlich ein Anstieg der Verbraucherpreise auf 5,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr gemeldet wurde (höchster Stand seit August 2008), ist die Juli-Teuerung bei uns auf 3,8 Prozent gesprungen. Somit sind die Verbraucherpreise den siebten Monat in Folge geklettert, nachdem sie zuvor sechs Monate lang gefallen oder stabil geblieben waren. Aber: Von 2,3 auf 3,8 Prozent – eine ähnlich hohe Preissteigerungsrate gab es zuletzt 1994. Längst sind nicht mehr nur höhere Energiepreise für den Inflationsanstieg verantwortlich – auch Bekleidung, Haushaltsgeräte und viele Dienstleistungen haben sich verteuert. Dazu kommt ein Basiseffekt durch die zeitweise Senkung der Mehrwertsteuer im Juli 2020. Die genaue Höhe des Effekts ist nur schwer zu benennen, da gleichzeitig auch andere Preiseffekte wirken, wie zum Beispiel die CO2-Bepreisung und übliche Marktentwicklungen. Bei der Senkung der Mehrwertsteuersätze im Juli 2020 lag der rein rechnerische Effekt bei minus 1,6 Prozentpunkten.
Steigt die Teuerung zunächst noch weiter?
Die aktuelle Entwicklung ist also vor allem auf Nachholeffekte zurückzuführen. Der Trend der hohen Preise dürfte sich im weiteren Jahresverlauf sogar noch verstärken – Inflationswerte über 4 Prozent sind möglich. Im kommenden Jahr wird sich die Entwicklung aufgrund des Auslaufens der Basiseffekte vermutlich aber umkehren. Anfang 2022 dürfte die Inflationsrate nach Einschätzung namhafter Ökonomen allmählich wieder zurückgehen – in Richtung 2 Prozent. Insofern gibt es auch für die Europäische Zentralbank derzeit noch keinen Anlass, die geldpolitischen Zügel zu straffen.
Das hat sich in der Fachwelt spontan als Mehrheitsmeinung herausgebildet. Ich will den Anstieg der Inflation nicht verharmlosen, zumal es Spekulationen gibt, dass Deutschland in den nächsten Monaten den stärksten Inflationsschub seit drei Jahrzehnten erleben dürfte. Spekulationen. Die aktuelle Inflation ist eine Folge der Pandemie und ihrer weltweiten ökonomischen Verwerfungen. Eine über viele Monate aufgestaute Nachfrage trifft derzeit auf ein immer noch begrenztes globales Güterangebot. Hinzu kommen höhere pandemiebedingte Kosten vieler Dienstleister.
Es besteht zudem die Gefahr, mahnen andere Volkswirte, dass die zunächst nur vorübergehend höhere Inflation zu einer Lohn-Preis-Spirale führt. Es wäre unredlich, die EZB für den aktuellen Preissprung verantwortlich zu machen. Der EZB kommt aber jetzt die Verantwortung dafür zu, dass aus der vorübergehenden Inflation keine dauerhafte Inflationsdynamik erwächst. Schon gibt es einen großen Gewinner der steigenden Preise: Der Staat kann aktuell mit der Inflationsrate über der Verzinsung seiner Staatsanleihen die reale Last seiner Verschuldung drücken. Außerdem wird der Fiskus besonders bei der progressiven Einkommensteuer inflationsbedingt mit hohen Steuer-Mehreinnahmen rechnen können.
Aktienanleger können gelassen bleiben
Kapitalanleger, die ihr Portfolio längst auf Sachwerte konzentriert haben, brauchen vor diesem Hintergrund keine strategische Neuorientierung vorzunehmen. Inflation auf mäßigem Niveau spricht für die Aktienanlage, Aktien bieten ähnlich wie Immobilien und Edelmetalle sogar Inflationsschutz. Heikel könnte es nur dann werden, wenn die Teuerung ungebremst nach oben ausbricht. Die eigentliche Gefahr liegt dann eher im Herdentrieb der Menschen: Wenn weiter steigende Inflation zu einer crashähnlichen Baisse am Anleihemarkt führen sollte, könnte davon eine allgemeine Börsenkrise ausgehen – obwohl es auch dann keine Anlagealternative zu Aktien gäbe. Nur sehe ich eine derartige Dramatisierung heute nicht.
Die ganze Welt verändert sich
Ich hoffe, dass die Diskussion im Umfeld der Börsen bald wieder stärker die insgesamt positive Wirtschaftsentwicklung in den Vordergrund rückt. Und Sie, geschätzte Anleger, sollten für Ihre Investments die großen Themen fokussieren. Die sind schon dabei, die Welt gründlich zu verändern. Globaler Temperaturanstieg, Unwetterkatastrophen und verheerende Brände sind die ersten Signale des Klimawandels. Der Beginn des privaten Weltraumtourismus und selbstfahrende Autos mit Elektroantrieb werden bereits wie alltägliche Innovationen zur Kenntnis genommen. Dazu schreitet die Künstliche Intelligenz auf allen Gebieten voran. Das erfordert in Zukunft gigantische staatliche Investitionen vom allem in die Infrastruktur und mehr privates Kapital denn je. Sie sollten diese Chancen nutzen – machen Sie mit!