Noch im Frühjahr lag der Referenzpreis für eine Megawattstunde niederländischen Erdgases unter 20 Euro. In der Zwischenzeit haben sich die Notierungen mehr als verdoppelt und es müssen 55 Euro für die gleiche Energiemenge auf den Tisch gelegt werden. Blickt man auf einen Chart, fällt sehr schnell auf, dass sich der Preis insbesondere in den Sommermonaten fast exponentiell nach oben entwickelt hat.
Das ist insofern höchst verwunderlich, als der europäische Sommer in der Regel von einer deutlich niedrigeren Gasnachfrage und entsprechend niedrigeren Preisen gekennzeichnet ist. Traditionell nutzen die Erdgasanbieter die Sommermonate auch dazu, die im Winter geleerten Erdgasspeicher wieder aufzufüllen.
In diesem Jahr ist allerdings vieles anders. Nicht nur explodieren die Erdgaspreise ausgerechnet in den nachfrageschwachen Sommermonaten. Auch die Erdgasspeicher sind in West- und Mitteleuropa vergleichsweise nur unterdurchschnittlich gefüllt. Das ist insofern besorgniserregend, als die nächste Heizperiode bereits im Oktober beginnen wird.
Können oder wollen die Russen kein Erdgas liefern?
Die zwei neuen Stränge der Ostseepipeline sind erst vor wenigen Tagen fertiggestellt worden. Was nun noch fehlt, sind letzte Arbeiten und vor allem ein Abschluss des Regulierungsprozesses. Gleichzeitig steht Ende des Monats die Bundestagswahl an, bei der ein Wahlsieg der Grünen, die gegen das Projekt waren, durchaus als möglich erscheint. Einige Marktteilnehmer werten das fehlende Gas deshalb als einen russischen Versuch, den Regulierungsprozess in ihrem Sinn zu beeinflussen.
In diesem Fall würden die Russen aus politischen Motiven kein Gas nach Westeuropa liefern wollen. Viele Beobachter fragen sich inzwischen jedoch, ob Gazprom überhaupt liefern kann, denn ein Brand in der Erdgasaufbereitungsanlage Marcek-Manser in Westsibirien behinderte die Gasströme ebenfalls erheblich.
Hinzu kommt, dass der Winter 2020/21 vergleichsweise lang war. Die Heizperiode endete spät. Dadurch begann auch die Wiederauffüllung der Gasspeicher deutlich später als in normalen Jahren. Da auch der Winter in Russland sehr kalt war, sind die dortigen Gasspeicher ebenfalls nur unterdurchschnittlich gefüllt.
Welcher Grund am Ende für die schwache Befüllung der europäischen Erdgasspeicher verantwortlich sein mag, inzwischen drängt die Zeit. Wenn sich kurzfristig am Befüllungsgrad der Erdgasspeicher nichts ändern sollte und uns ein langer, kalter Winter erwartet, könnten die Erdgaspreise trotz des aktuell schon recht hohen Niveaus in den kommenden Monaten nochmals massiv ansteigen.