Nein, es sieht nicht gut aus. Der Herbst beginnt und damit eine Phase, die für die europäischen Volkswirtschaften nichts Gutes verspricht. „Kein Anlass zur Besorgnis?“ An diese rhetorische Frage in meiner letzten Kolumne möchte ich eine weitere knüpfen: „Ist der Wirtschaft noch zu helfen?“ So die Headline eines Bankers über seiner Vorschau. Meine Auffassung nach gibt es zwei Antworten, die sich durch ihren unterschiedlichen Zeithorizont unterscheiden.
Auf kurz- bis mittelfristige Sicht sind sich die meisten Volkswirte einig: Die bevorstehenden Wochen – vielleicht das gesamte Winterhalbjahr – dürften noch mehr Unsicherheit und negative Nachrichten liefern. Unternehmen und Verbraucher in Deutschland gehen gemeinsam schweren Zeiten entgegen. „Mit Blick auf die vielen Unsicherheiten – ich denke, wir haben einen harten Winter vor uns“, sagte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm kürzlich in einer Umfrage. Noch drastischer andere Ökonomen, die inzwischen fest von einer Rezession ausgehen. Diese wird voraussichtlich „nicht milde“ ausfallen. Neben den aktuellen Problemen, die es zu lösen gilt, wird eine Neuausrichtung in weiten Teilen der deutschen Wirtschaft erwartet, die in ihrer Grundsätzlichkeit die Herausforderungen bei der Bewältigung früherer Krisen übertriff. Dies wird sich auch in Firmenpleiten niederschlagen.
Hohe Preise zwingen zum Sparen
Hauptproblem sind die hohen Preise, vor allem für Energie. Bei einer Inflationserwartung von mittlerweile mehr als 10 Prozent und galoppierenden Preisen etwa für Gas und Strom sind die Verbraucher zum Sparen gezwungen. Ausgaben für andere Anschaffungen müssen zurückgestellt werden. Der sich abzeichnende Verlust an realer Kaufkraft dürfte der schärfste Gegenwind sein. Deshalb warnen Volkswirte: Die hohen Energiepreise setzen sowohl die Industrie als auch die Dienstleistungsbranche unter Druck. Dadurch dürfte die Belastung für die Konjunktur umso kräftiger ausfallen.
Ist der Wirtschaft noch zu helfen?
Dagegen ist eine vergleichsweise positive Nachricht, dass wir keinen konjunkturellen Einbruch wie während der Corona-Pandemie oder auch während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 erwarten. Große wirtschaftliche Ungleichgewichte, wie eine überbordende Schuldenaufnahme oder auch einen Aufbau von Überkapazitäten, können wir nicht erkennen, sodass der wirtschaftliche Abschwung vergleichsweise moderat ausfallen sollte.
Das größte wirtschaftliche Risiko besteht darin, dass sich die Inflation als hartnäckiger erweisen könnte, als viele dies im Moment erwarten, befürchten Banker, die es für wahrscheinlich halten, dass aufgrund des starken Preisanstiegs der vergangenen Monate bereits eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gekommen ist. Da davon auszugehen ist, dass die Europäische Zentralbank der Inflationsbekämpfung keine besondere Priorität einräumen wird – schließlich führen die hohen Preissteigerungsraten in der gesamten Eurozone zu höheren Steuereinnahmen und tendenziell sinkenden Schuldenquoten – dürfte eine zu lasche Geldpolitik ebenfalls dazu führen, dass der Inflationsgeist nicht so schnell wieder zurück in die Flasche zu bekommen ist.
Nimmt man die in den letzten Augusttagen veröffentlichten Expertenstimmen, so sind die relativ gelassenen Äußerungen eindeutig in der Minderheit. Ich halte es aber für wichtig, in solchen Vorschauen auch (soweit möglich) den zeitlichen Horizont zu integrieren.
Wirtschaft profitiert langfristig von ihren Ur-Stärken
Kurz- bis mittelfristig, das heißt in den bevorstehenden zwei Jahren, drohen auch nach meiner Einschätzung fatale Folgen durch das Zusammentreffen historisch bedeutsamer wirtschaftlicher und geopolitischer Probleme. Neben einem längeren Krieg und der folgenschweren Energiekrise sowie einer anhaltend viel zu hohen Inflation ist beispielsweise auch eine neue Pandemie-Welle nicht auszuschließen. Die möglichen Konsequenzen mag man sich nicht ausmalen.
Wer trotzdem den Mut zu einer ganz langfristigen Betrachtungsweise aufbringt, braucht unter Berücksichtigung historischer Erkenntnisse nicht defätistisch zu werden. Die vorsichtig-optimistischen Ökonomen erwarten deshalb schon auf kürzere Sicht keine schwere Rezession (da bin ich mir nicht sicher) und verweisen langfristig darauf, wie anpassungsfähig und kompetitiv die deutsche Wirtschaft jst. Nicht zu unterschätzen sind zudem die innenpolitischen Einflüsse: Da das heutige Krisenszenario nicht nur Teile der Volkswirtschaft in Mitleidenschaft zieht, sondern die ganze Republik und ihre Bündnispartner, darf man darauf bauen, dass unsere Regierung (da von allen Seiten unter Druck) weitreichende Maßnahmen zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung ergreifen wird.
Parallelen zu den 1970er Jahren
Mir ist die von Vermögensverwalter Christian Dagg (Brilliant Vermögensverwaltung) skizzierte Perspektive sympathisch: Es könnte sein, dass zur Erklärung für die Kursrückgänge an der Börse gar kein Weltuntergang nötig ist, sondern lediglich eine überfällige Korrektur der Gewinnerwartungen hin zum langfristigen Durchschnitt stattfindet. Der Finanzexperte sieht in der aktuellen Gemengelage Parallelen zu den Siebziger Jahren mit hohen Rohstoffpreisen, hoher Inflation, rückläufigen Börsenkursen, Krieg zwischen den Wirtschaftsblöcken (Vietnamkrieg) und Rezession. Aber genau dieses Jahrzehnt war die Geburtsstunde von vielen Unternehmen, die heute unsere Welt und unser Leben bestimmen und Anlegern traumhafte Renditen bescheren.