Zu seiner Zeit als Chef der Europäischen Zentralbank hat Mario Draghi die Staats- und Regierungschefs der Eurozone immer wieder dazu ermahnt, das Geschenk der niedrigen Zinsen und der damit verbundenen günstigen Refinanzierung der vom Staat auf genommenen Kredite zu nutzen, und Strukturreformen einzuleiten.
Seine Worte verhallten ungehört. Mehr noch: Die Niedrigzinspolitik der EZB verleitete die Politiker in den vergangenen Jahren dazu, noch mehr Schulden zu machen. So wurden die Staatsdefizite nicht gesenkt, sondern weiter erhöht. Heute weisen Länder wie Italien, Frankreich, Spanien, Portugal und Griechenland Schuldenstände auf, die weit über 100 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung ausmachen.
Mario Draghi hat in der Zwischenzeit die Seite gewechselt und führt die Regierung in Rom. Selbst wenn er sich nun an seine mahnenden Worte erinnern und diesen zumindest innerhalb Italiens die entsprechenden Taten folgen lassen sollte, wird seine Nachfolgerin dennoch keine Handlungsfreiheit gewinnen.
Inflation oder Staatsbankrott
Die EZB wird die Zinsen nicht anheben können, vor allem nicht stark, aber auch nicht sehr schnell. Sie wird sich den Zinsschritten am Ende nicht widersetzen können, doch sie wird im Feld der führenden Notenbanken gewiss nicht die Rolle des Vorreiters einnehmen wollen.
Täte sie dies, würden Staaten wie Italien, Portugal oder Griechenland in Richtung Staatsbankrott ableiten. Ob die europäische Gemeinschaftswährung dann noch zu retten wäre, ist eine weitere Frage welche Christine Lagarde und ihren Kollegen im EZB-Rat schlaflose Nächte bereiten könnte.
So wird man der US-Notenbank in der Frage möglicher Zinserhöhungen höchstens folgen und das auch nur sehr langsam und widerwillig. Das dürfte den US-Dollar gegenüber dem Euro stärken und die europäischen Importe verteuern, denn insbesondere die wichtigen Rohstoffe werden allesamt in US-Dollar abgerechnet.
Ein dauerhaft schwacher Euro kann an dieser Stelle allerdings kaum anders als inflationär wirken. Damit wächst die Gefahr, dass die Inflation in der Eurozone auch in den kommenden Jahren vergleichsweise hoch sein wird.