Bislang galt und gilt noch immer für alle Staaten die einheitliche Schuldenobergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Sie wurde vor der Euroeinführung im Maastrichter Vertrag verbindlich festgelegt. Eingehalten wurde sie jedoch nie. Die Folge ist, dass EU-Stabilitätspakt inzwischen ein Maß ist, von dem sich die Realität weit entfernt hat.
Während Klaus Regling, der Chef des Euro-Krisenfonds ESM, den Vorschlag gemacht hat, den Maastrichter Grenzwert von 60 auf 100 Prozent heraufzusetzen, lehnt EU-Wirtschafts- und Währungskommissar, Paolo Gentiloni, dieses Ansinnen in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ab. „Meiner Idee einer differenzierten Betrachtung der Staaten entspricht das gerade nicht“, erklärte der Italiener.
Als Mitglied verschiedener italienischer Regierungen hat Gentiloni selbst miterlebt, wie „flexibel“ man mit dem Vertragswerk umgegangen ist, sodass ehrlicherweise gesagt werden muss, dass er nie richtig eingehalten wurde. „Aber wenn sich eine flexible Auslegung von Regeln irgendwann nicht mehr von deren kompletter Missachtung unterscheiden lässt, ist etwas schiefgegangen.“ Staaten, die eine gemeinsame Währung haben, sollten sich deshalb nach Möglichkeit auch an ihre gemeinsamen Regeln halten.
Vorschlag für eine umfassende Reform bis Mitte 2022
Aktuell liegt die durchschnittliche Schuldenquote der Staaten der Eurozone bei 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Während Deutschland mit einer Quote von 69,3 Prozent noch ein recht passables Bild abgibt, lastet auf dem italienischen Staat bereits eine Schuldenquote von 155 Prozent. Griechenland ist sogar mit 210 Prozent verschuldet.
Ein einheitliches Vorgehen und einheitliche Ziele für den Schuldenabbau hält Gentiloni deshalb für weitaus weniger sinnvoll als individuelle Ziele, die für jedes Land eigens festgelegt werden. Bis Mitte des kommenden Jahres will die EU-Kommission deshalb einen Vorschlag für eine umfassende Reform des Stabilitätspakts vorlegen.
Dabei soll nach Paolo Gentilonis Vorstellung eine differenzierte Betrachtung der hoch verschuldeten Mitgliedstaaten einen Teil der Reform darstellen. Der EU-Kommissar kann es sich deshalb vorstellen, dass einzelnen Ländern ein größerer haushaltspolitischer Spielraum gewährt wird als bisher. Gleichzeitig müssten der EU-Kommission allerdings auch wirkungsvollere Instrumente zur Durchsetzung der Haushaltsregeln an die Hand gegeben werden.