Unter dem Titel „Bedingt abwehrbereit“ erschien am 10. Oktober 1962 im Spiegel ein Artikel, der Fähigkeit der damaligen Bundeswehr zur Landesverteidigung analysierte und die anschließende Spiegelaffäre ins Rollen bracht. Auch heute wird über die Frage, ob und in welchem Umfang die Bundeswehr noch ihrem genuinen Auftrag zur Landesverteidigung nachkommen kann, wieder leidenschaftlich diskutiert.
Entfacht hat diese Diskussion Wladimir Putin, als er am 24. Februar den Angriff der russischen Truppen auf die Ukraine gestartet hat. Seitdem müssen sich alle Staaten in Europa wieder der Erkenntnis stellen, dass ein klassischer Staatenkrieg auch in Europa weiterhinb möglich ist.
Auf ihn ist die Bundeswehr denkbar schlecht vorbereitet, denn die deutsche Politik hat seit dem Zerfall der Sowjetunion die sogenannte Friedensdividende sehr ungeniert vereinnahmt. Einige Zahlen, die das Münchener Ifo Institut in seinem Schnelldienst vorgelegt hat, belegen dies eindrucksvoll.
Nur noch ein Schatten früherer Tage
Verglichen mit ihrem Personalbestand von 1990 hat die Bundeswehr heute nur noch 40 Prozent der damals verfügbaren Kräfte. Allerdings trügt auch hier der Schein, denn die aktuelle Sollstärke wird nicht erreicht, weil es der Bundeswehr nicht gelingt, alle Planstellen zu besetzen und genügen Personal zu rekrutieren. Ein Grund dafür ist die seit 2011 ausgesetzte Wehrpflicht.
Es fehlt allerdings nicht nur das Personal, sondern auch das Geld. Inflationsbereinigt sind die deutschen Verteidigungsausgaben zwischen 1990 und 2014 um 34 Prozent zurückgegangen. Seitdem steigen sie zwar wieder an. Dies geschieht allerdings nur recht zögerlich. Noch deutlicher wird die erhebliche Schwäche der deutschen Verteidigungsausgaben, wenn diese ins Verhältnis zur Wirtschaftskraft des Landes gesetzt werden.
Aktuell fordert die NATO von ihren Mitgliedsländern, dass diese zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Aufrechterhaltung ihrer Verteidigungsfähigkeit ausgeben. Dieser Bestimmung ist Deutschland in den vergangenen Jahren nicht ein einziges Mal nachgekommen, was insbesondere den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump schwer verärgert hat.
Das alles hat dazu geführt, dass der Bundeswehr die sogenannte Kaltstartfähigkeit fehlt. Gemeint ist mit diesem Begriff die Fähigkeit, kurzfristig auf eine militärische Bedrohung reagieren zu können. Will die deutsche Politik daran etwas ändern, liegt vor ihr eine wahre Herkulesaufgabe.