Bei den letzten Parlamentswahlen war es dem britischen Premierminister Boris Johnson in Nordengland gelungen, zahlreiche Mandate, die traditionell eher an die Labour-Partei gingen, für seine eigene konservative Partei zu gewinnen. Gelungen war ihm dies unter anderem mit der Zusicherung, in Zukunft mehr für die Entwicklung dieser Regionen tun zu wollen.
Ein wichtiges Infrastrukturprojekt, das die Regionen in Nordengland voranbringen soll, ist dabei der Neubau von Schnellbaustrecken. Der bereits seit 2009 entwickelte Plan trägt den Namen High Speed 2 und sieht eine schneller Anbindung der wichtigen Städte in Nordengland an die Hauptstadt London bis 2040 vor.
Ursprünglich glaubte man das Vorhaben mit einem maximalen Gesamtaufwand von 36 Milliarden Pfund durchführen zu können. In der Zwischenzeit sind die Kosten jedoch auf über 100 Milliarden Pfund angestiegen. Der Grund ist ein recht kompliziertes britisches Planungsrecht, eine enge Besiedlung der von den Zügen zu durchfahrenden Gebiete, ein hügeliges Landschaftsprofil und zahlreiche Straßen die überquert werden müssen. Zudem müssen die für die Trassen benötigten Grundstücke angekauft werden.
Auf Corona folgt der Rotstift
Dies alles kostet Geld, das die Regierung in London nicht mehr hat. Die Folge ist, dass die Zeitpläne geändert und Strecken gestrichen werden. Ursprünglich sollten die Trassen einem y-förmigen Verlauf folgen und von London zunächst nach Birmingham führen. Hier teilen sich die beiden Arme in einen westlichen, der bis Manchester und Wigan geführt wird und einen östlichen der über East Midlands bis Leeds geführt werden sollte.
Die Strecke von East Midlands bis Leeds wird nun allerdings dem Rotstift zum Opfer fallen. Auf wesentlichen Teilen der Strecken wird zudem kein kompletter Neubau mehr entstehen, sondern die Regierung begnügt sich damit, die bestehenden Gleise zu modernisieren. Dies wird auch dazu führen, dass die nahe Leeds gelegene Großstadt Bradford keinen deutlich verbesserten Bahnanschluss erhalten wird.
Entsprechend enttäuscht reagierten sowohl die Wähler als auch die Abgeordneten aus den betroffenen nordenglischen Wahlkreisen. Sie fühlen sich vom Premierminister und seiner Regierung betrogen. Neben den verkürzten Reisezeiten nach Birmingham und London, auf die gehofft worden war, droht nun auch die Erwartung, dass dank der neuen Strecken mehr Züge verkehren könnten, enttäuscht zu werden. Stattdessen wächst die Befürchtung, dass die schnellen Hochgeschwindigkeitszüge auf den alten Gleisen hinter langsamen Vorortzügen im Stau stehen werden.