Nein, es gibt noch keine zuverlässigen Antworten auf die vielen Fragen, die der Ukraine-Krieg aufwirft. Es kann sie auch nicht geben. Dauer und Verlauf des Konflikts im Osten Europas sind ungewiss und unberechenbar. Fest steht allerdings schon jetzt, dass der Preis der Kriegsfolgen hoch sein wird – insbesondere für die neuen wirtschaftspolitischen Weichenstellungen bei uns und die diversen Sanktionspakete als Reaktion auf die russische Invasion. Das wird der Staat nicht allein schultern, sondern auch auf seine Bürger umlegen.
Die jüngsten Ereignisse sind vor allem eine humanitäre Katastrophe. Aus Anlegersicht stellt sich aber die Frage, welche ökonomischen Implikationen sich aus diesem Konflikt ergeben, denn vor allem davon hängt die weitere Entwicklung der Kapitalmärkte ab. Allerdings kann niemand im Moment genau vorhersagen, wie sich die Situation zwischen Russland und der Ukraine entwickelt. Aus den wenigen konkreten Einschätzungen der Konsequenzen für die Finanzmärkte habe ich wesentliche Auszüge zusammengestellt, um zumindest ein vorläufiges Meinungsbild zu skizzieren.
Wirtschaftliche Lage sehr robust
M.M. Warburg: Wir gehen nicht von einem Übergreifen der Kriegshandlungen auf andere osteuropäische Staaten aus, weil wir uns nicht vorstellen können (und wollen), dass es Putin auf eine bewaffnete Auseinandersetzung mit der Nato anlegt. Zudem lassen auch die Äußerungen Putins nicht darauf schließen, dass er dies planen würde – ganz im Gegenteil zu Belarus, das aus Sicht Putins ebenfalls „zurück ins Reich“ geholt werden müsse. Glücklicherweise ist die derzeitige wirtschaftliche Lage bei uns und in vielen anderen Ländern sehr robust.
DZ Bank: Der großangelegte russische Angriff auf die Ukraine sorgt für eine politische Ausnahmesituation, deren wirtschaftliche Folgen noch kaum absehbar sind. Erste Reaktionen zeigen sich bereits in einem Ölpreis von über 100 Dollar und weltweit einbrechenden Aktienmärkten. Erst wenn sich der erste Nebel lichtet, wird sich ein klareres Bild abzeichnen, bis dahin stehen auch unsere Prognosen auf dem Prüfstand. Die Finanzmärkte könnten in den kommenden Wochen, eventuell Monaten – je nach Dauer des Konflikts – durch eine höhere Unsicherheit belastet werden. Damit sollten Bundesanleihen als „sicherer Hafen“ gesucht bleiben und die Liquiditätshaltung dürfte zunehmen.
Dax-Ziel für 2022 wird gesenkt
Die globale Zinswende und das aktuelle Kriegsgeschehen belasten den Aktienmarkt stärker und nachhaltiger als ursprünglich erwartet. Die Marktvolatilität wird auf eine neue Höhe getrieben und auch hoch bleiben. Eine Anpassung der Indexziele für 2022 ist unumgänglich. Steigende Unternehmensgewinne bieten vom aktuellen Stand jedoch Kurspotenzial. Wir reduzieren zum Jahresende das Dax-Ziel von
18.000 auf 17.000 Punkte. Das Indexziel für den S&P 500 senken wir von 5.300 auf 4.800 Punkte.
NN Investment Partners: Die Märkte reagierten auf die Entwicklungen in der Ukraine mit deutlichen Abwärtsbewegungen. Sichere Anlagen wie Gold, Staatsanleihen mit gutem Rating, der Schweizer Franken und der japanische Yen waren allesamt sehr gefragt. Die Ölpreise übertrafen die Marke von 100 Dollar pro Barrel, und der gesamte Rohstoffsektor zog an. Risikoreiche Anlagen hatten mit geringen Volumina zu kämpfen. Die Verluste reihten sich, wie unter solchen Umständen zu erwarten, aneinander.
Aufschwung in Europa wird gedämpft
Der Spielraum für eine schnelle Deeskalation ist in den kommenden Tagen begrenzt. Darüber hinaus besteht große Ungewissheit darüber, ob die Militäraktionen wie im Georgienkonflikt 2008 von kurzer Dauer sein werden oder ob sie sich über Monate oder sogar länger hinziehen könnten. Russland ist auf einen anhaltenden Konflikt vorbereitet, da es in den letzten fünf Jahren Devisenreserven in Höhe von 240 Mrd. Dollar angehäuft und seine gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichte verringert hat. Der Rohstoff- und der Energiesektor bilden Schlüsselbereiche, durch den sich die Ukraine-Krise auf die Märkte und die Wirtschaft auswirken wird. Die Krise trifft die europäische Wirtschaft zu einem kritischen Zeitpunkt. Die Inflation liegt bei 5,1 % und die Energiekrise ist in der EU besonders ausgeprägt. Die anfänglichen wirtschaftlichen Schocks dürften den derzeitigen Aufschwung in Europa dämpfen und einen beträchtlichen Inflationsdruck erzeugen. In den kommenden Monaten könnte sich die Energiekrise jedoch entspannen. Zusätzliche Öl- und Gasreserven aus anderen Ländern wie den USA und dem Iran werden verfügbar und die Wintersaison endet. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch zu früh, um zu sagen, was die steigende Inflation für die Geld- und Finanzpolitik und für das Verbrauchervertrauen in den kommenden Quartalen bedeuten wird. Ein langsamerer Zinserhöhungszyklus, insbesondere in der Eurozone, ist eine der Optionen.
Asymmetrischer Umbau des Portfolios
Wie sollten sich Anleger in einem solchen Krisenumfeld aufstellen? SALytic Invest rät zu einer asymmetrischen Allokation: Wir fahren das Risiko für unsere Kunden herunter und investieren einen Teil des Geldes in asymmetrisch handelnde Assetklassen, die in Risikophasen steigen. Zur Verminderung der Risikopositionen gehört eine Verringerung der Aktienquote, besonders der europäischen Titel mit hohem Russland-Bezug in den operativen Aktivitäten wie etwa Banken oder Energieausrüster, sowie von Unternehmen, die stark unter den explodierenden Öl- und Gaspreisen leiden. Innerhalb des verbleibenden Aktienportfolios setzen wir auf defensive Titel wie Versorger, Versicherungen oder Pharmawerte, die robuster gegenüber konjunkturellen Schwankungen sind. Daneben ist in Europa von einem starken Anstieg der Rüstungsbudgets auszugehen. Im Bondbereich reduziert SALytic Invest High Yield- und Hybrid-Anleihen zugunsten von Staatsanleihen, hier vor allem US-Treasuries.