Vorab meine (vielleicht provozierende) Zwischenbilanz des Jahresauftakts: Für konkrete Inflations- und Zinsprognosen 2022 ist es noch zu früh. Das signalisieren auch die unterschiedlichen Analysen der Vermögensverwalter, die ihre bisherigen Einschätzungen in den vergangenen Tagen teilweise korrigiert haben. Private Anleger sollten sich darauf einstellen, dass die hohe Volatilität bis auf Weiteres anhalten wird. Auch eine deutliche Schwächephase am Aktienmarkt ist nicht auszuschließen. Die Karten werden neu gemischt – Gewinner und Verlierer stehen aber noch nicht fest. Im Folgenden deshalb ein Streifzug durch aktuelle Aussagen namhafter Investmentprofis.
So schreibt mir Fondsmanager Volker Schilling: Gleich der Wochenauftakt hat mit einem ordentlichen Rückgang klargemacht, dass wir in ein neues Regime eingetreten sind. Wir befinden uns jetzt in einem Zinserhöhungszyklus. Und die US-Notenbank hat dies am Mittwoch bestätigt. Voraussichtlich im März wird man damit beginnen, die Zinsen in einem ersten Schritt um 0,25% anzuheben. Damit findet ein großes Re-Pricing von Aktien statt. Der Faktor Zinsen ist eine der wichtigsten Determinanten zur Bewertung von Wertpapieren. Je mehr Zinsen es gibt, desto eher gibt es Alternativen zu Aktien und desto weniger sind Gewinne in der Zukunft heute wert. Die weltweiten Börsen haben genau dies in den letzten drei Wochen eingepreist. Mehr als ein Drittel der Nasdaq 100 Unternehmen liegen 33% unter ihrem 12-Monatshoch. Der Russell 2000, ein US-Nebenwerteindex mit 2000 Aktien, notiert mehr als 20% unter seinem Novemberhoch und befindet sich damit definitionsgemäß in einem Bärenmarkt. Viele Börsianer machen damit erstmals die Erfahrung, dass ihre Aktien länger anhaltende Kursverluste erfahren.
Fünf Zinserhöhungen durch die Fed?
Nach der jüngsten Fed-Zinssitzung scheint der Weg vorgezeichnet: Risikoanleger sind allein im Jahr 2022 mit bis zu fünf Zinserhöhungen konfrontiert, sagt Mark Dowding, Chief Investment Officer bei BlueBay Asset Management. Neue Lieferengpässe, die mit Chinas Null-Covid-Politik zusammenhängen, könnten Anleger noch mehr belasten. Auf der jüngsten Sitzung der US-Notenbank unterstrich Jerome Powell den Willen zur Straffung der Geldpolitik. Die Marktteilnehmer erwarten eine erste Zinserhöhung im März. Zu diesem Zeitpunkt wird die Rückführung der Wertpapierkäufe abgeschlossen sein. Die Kommentare auf der jüngsten Pressekonferenz deuteten außerdem darauf hin, dass die Quantitative-Easing-Phase bis zum Sommer in eine Quantitative-Tightening-Phase übergehen soll. Die Fed will dazu ihre Bilanz aktiv schrumpfen, indem sie in einem ersten Schritt die Reinvestition fällig werdender Wertpapiere einstellt. Im Zusammenhang mit der jüngsten Fed-Sitzung rechnen die Märkte nun mit fünf Zinserhöhungen im Jahr 2022, wodurch der Leitzins bis zum Ende dieses Jahres auf 1,25 Prozent steigen würde. Diese Entwicklung liegt nicht weit von unserer eigenen Einschätzung für 2022 entfernt: Wir sind der Ansicht, dass der Markt weiterhin die Inflations- und Wachstumsaussichten unterschätzt. Wir hüten uns daher davor, Zinsprognosen für 2023 abzugeben. Marktprognosen für einen Höchststand der Zinsen im laufenden Anpassungszyklus von rund 2 Prozent halten wir jedoch für zu niedrig.
Ost-West-Konflikt eine große Bedrohung für die Märkte
Lewis Grant, Senior Portfolio Manager von Federated Hermes, sieht keine Beruhigung: Der Januar war bislang ein schwieriger Monat für Aktienanleger. Die Volatilität der Marktstimmung, die die Märkte seit dem Jahreswechsel beeinflusst hat, scheint sich nicht zu beruhigen – und die Gewinnsaison verschärft die Schwankungen noch. Der Einbruch bei den Technologie- und Growth-Titeln hat sich abgeschwächt – oder ist vielleicht sogar zum Stillstand gekommen –, nur um von starken Kursschwankungen abgelöst zu werden. Denn die Anleger versuchen, die Tiefststände zu ermitteln und ein Schnäppchen zu machen. Bei so viel Volatilität und Ungewissheit ist es aber nicht naheliegend, dass es überhaupt Schnäppchen zu machen gibt. Während die Nervosität im Zusammenhang mit dem Ausmaß von Omikron nachgelassen hat und die Beschränkungen weiter gelockert werden, tauchen nun andere Sorgen auf: eine gespaltene geopolitische Landschaft. Die Unterbrechungen der globalen Lieferketten dürften sich noch verschärfen, da sich die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen verschlechtern und die Spannungen zunehmen, nachdem der Kreml Truppen in der Nähe seiner Grenzen zusammengezogen hat. Russlands Erdgaslieferungen nach Westeuropa könnten die Volatilität an den Finanzmärkten weiter anheizen. Und da wir die Pandemie nun allmählich hinter uns lassen, betrachten wir jetzt einen möglichen Konflikt als eine der größten Bedrohungen für die Märkte im Jahr 2022.
Werden die Inflationsaussichten unterschätzt?
Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, verweist auf die fundamentalen Risiken: Werden Inflationsrisiken in der Eurozone unterschätzt? Lange Zeit war der Zusammenhang zwischen Arbeitslosenquote und Kerninflation außer Kraft gesetzt. Das allerdings könnte sich bald ändern, wenn nämlich die Lohnforderungen steigen und die Lohnentwicklung wieder zum maßgeblichen Einflussfaktor für die Inflation wird. Dann müsste die EZB den Leitzins schon früher anheben, als allgemein erwartet wird. Hinzu kommen die im Prinzip guten Wirtschaftsperspektiven für die Eurozone, über denen allerdings das Damoklesschwert Ukraine-Konflikt hängt.