Man sagt die Händler an den internationalen Finanzmärkten kaufen und verkaufen nicht die Gegenwart, sondern sie nehmen in ihren Entscheidungen die Zukunft vorweg. In der Regel folge deshalb die Wirtschaft der Entwicklung an den Rohstoff-, Devisen- und Aktienmärkten mit einer rund sechsmonatigen Verspätung.
Trifft diese Beschreibung auch die heutige Wirklichkeit, muss die Wirtschaft im Winter brummen wie schon lange nicht mehr. Der Schmierstoff der Wirtschaft ist das Öl. Läuft der Motor gut, wird viel von ihm benötigt. Stottert der Motor, sinkt erst die Bereitschaft, neues Öl zu kaufen, und dann auch schnell sein Preis.
Aktuell steigen die Preise jedoch wieder. Der Ölpreis hat sich von seinen im März und April erreichten Tiefs gelöst und steht im Begriff, das Panikhoch von Anfang März erneut zu erreichen. Das erweckt den Eindruck, als würde in rund sechs Monaten mit einer besonders starken Ölnachfrage aufgrund einer äußerst robusten Konjunktur gerechnet.
Die kurzfristigen Interessen bestimmen den Ölpreis
Weil dieses Bild so gar nicht zu der am Horizont aufscheinenden Gefahr einer längeren Rezession passen will, dürfte sich der eine oder andere Beobachter inzwischen höchst verwundert die Augen reiben. Was spielt der Markt gerade? Ist es das Szenario eines mittelfristigen starken Aufschwungs oder das einer kurzfristigen Versorgungspanik?
Vermutlich eher Letzteres, denn es scheint derzeit, als würden die Entscheidungen am Ölmarkt primär aus kurzfristigen Überlegungen heraus getroffen. Das Thema Lieferketten ist allgegenwärtig und seit dem vergangenen Jahr weiß ein jeder Manager, was es heißt, wenn wichtige Rohstoffe oder Vorprodukte nicht zur Verfügung stehen.
Am Ende geht gar nichts mehr. Einen solchen Zustand will derzeit niemand erleben, geschweige denn zu verantworten haben. Deshalb werden Vorräte angelegt. Auch solche, die unter Umständen gar nicht gebraucht werden. Wenn allerdings alle dazu übergehen, neue Vorräte anzulegen, steigt zwangsläufig die Nachfrage in einer Weise mit der das Angebot nicht mithalten kann.
Das treibt die Preise nicht nur am Ölmarkt sondern auch in anderen Sektoren der Wirtschaft. Im Hintergrund steht dabei nicht unbedingt eine echte, dauerhafte Nachfrage, sondern die verzweifelte Angst, am Ende wohl möglich mit leeren Händen dazustehen.