Während die Corona-Pandemie eindringlich vor Augen geführt hat, wie wichtig es ist, dass zentrale Leistungen im Gesundheits- und Pflegebereich ohne den Blick auf eine möglichst hohe Rendite durchgeführt werden, wird unter der Oberfläche knallhart dem Turbokapitalismus gehuldigt. Selbst Organisationen wie die katholische Caritas sind sich nicht zu schade, bei diesem zynischen Spiel um mehr Geld und höhere Renditen mitzumischen.
Die Caritas, immerhin einer der größten Arbeitgeber in diesem Bereich, hat einen Tarifvertrag in der Pflege abgelehnt, weil man am „Wettbewerb der Tarifwerke“ festhalten wolle, schreibt die Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Uta Meier-Gräwe in einem Gastbeitrag auf dem Blog „Geld und mehr“ von Norbert Häring.
Die selbst innerhalb der Caritas umstrittene Entscheidung führt dazu, dass sich der Pflegenotstand in Deutschland weiter verschärfen wird. Bundesweit fehlen derzeit rund 200.000 Pflegekräfte. Damit nicht genug haben im letzten Jahr allein 9.000 Beschäftigte in diesem Bereich ihren Job gekündigt.
Die Benachteiligung der Frauen hat System
Mit einem Anteil von 83 Prozent stellen Frauen innerhalb der in der Altenpflege eingesetzten Kräfte den mit Abstand größten Anteil. Viele von ihnen haben Kinder und arbeiten deshalb in Teilzeit. Ihre Lohn- und Einkommensentwicklung ist bescheiden und sie wird es auch bis 2025 bleiben.
Begründet wird diese fortgesetzte Benachteiligung der Frauen und selbstverständlich auch der männlichen Pflegekräfte in einer Studie der Bertelsmannstiftung vom vergangenen Dezember mit dem geringeren Produktivitätswachstum. Dieses werde in den arbeitsintensiven Branchen des Pflege- und Gesundheitswesens nur etwa halb so hoch ausfallen wie im verarbeitenden Gewerbe oder in der Elektroindustrie und der chemischen Industrie.
Solange sich Wissenschaftler dazu hergeben, mit Verweis auf das geringere Wachstum der Produktivität im Pflege- und Gesundheitsdienst, zu rechtfertigen, dass sich die Schere zwischen den besser und den schlechter bezahlten Berufen deutlich weitet und Arbeitgeber wie die Caritas mit Privat-Equity-Investoren gemeinsame Sache machen, um den eigenen Gewinn weiter zu steigern, wird sich am Pflegenotstand im Land nicht das Geringste ändern.
Im Gegenteil, man kann Uta Meier-Gräwe nur beipflichten, wenn sie von einer weiteren Verschärfung des Notstands ausgeht und dringend nicht nur ein neues Produktivitätskonzept einfordert, sondern auch eine gesellschaftliche Diskussion darüber einfordert, was uns wirklich wie wichtig ist und welchen Preis wir am Ende auch dafür zu zahlen bereit sind.