In Deutschland wird derzeit spekuliert, welche Maßzahlen die Ausbreitung und die Risiken der Corona-Pandemie am besten beschreiben könnten. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Inzidenz (gemessene positive PCR-Tests pro 7 Tagen jeweils bezogen auf 100.000 Einwohner) nicht mehr leitbildend sein wird. Die Apotheken-Umschau hat aus diesem Anlass mit dem Medizinstatistiker und Mathematiker Professor Gerd Antes gesprochen.
Prüfer medizinischer Studien
Antes prüfte in seiner Funktion als früherer Direktor des Deutschen Cochrane-Zentraums medizinische Studien auf wissenschaftlicher Basis. Er prüfte übersetzt formuliert dort, wo etwa heute von prominenten Geistern Studien einfach nur in einem Tweet vorgetragen werden.
Den Umgang mit Zahlen in Deutschland hält er offenbar zumindest in der Corona-Pandemie für verantwortungslos. Das Interview verrät etwa, dass eine Überschrift wie RKI. 4.000 Erkrankte trotz vollständiger Impfung nicht hinreichend viele Informationen enthalte. Weggelassen würde, dass es 38 Millionen Geimpfte gäbe. Epidemiologie würde bedeuten, Zähler durch Nenner zu teilen.
Dabei seien die 4.000 als Zahl ein Schreckgespenst. Zum Thema der Inzidenz äußert er sich klar und habe dies seit Monaten gepredigt. Die Inzidenz sei, so die Erkenntnis seit Herbst 2020, nicht alleine für Steuerungsmaßnahmen geeignet.
Ihm fehle das Verständnis dafür, wenn Spanien auf Basis der Inzidenz jetzt wieder zum Risikogebiet erklärt würde. Gegenwärtig würden auch die „steigenden“ Inzidenzwerte in Deutschland für die Beurteilung der Lage unangemessen sein. Vielmehr habe man kaum Neuinfektionen.
Die Inzidenz sei allein für die Politik „sehr bequem“ gewesen. Die Risikoverhältnisse seien verschoben und – dies ist wichtig – darauf basierende Gegenmaßnahmen könnten „ernsthaft falsch sein“. Es sei an der Zeit, die Inzidenz von der Hospitalisierung sowie der Sterblichkeit zu entkoppeln.
Der Faktor, dass das Alter der Infizierten eine wesentliche Rolle spiele, sei bereits im November 2021 im Bundestagsausschuss debattiert worden und bekannt – das zögerliche Verhalten von Jens Spahn, nun auch klinische Angaben zu Alter, Art der Behandlung und Impfstatus zu fordern, könne „einen großen Schaden anrichten“.
Nicht nur ökonomisch seien die Schäden enorm, sondern vor allem psychisch wären Schäden bei Kindern und Jugendlichen enorm. Man hätte den „richtigen Zahlen rechtzeitig mehr Bedeutung“ geben müssen – so seine Schlussfolgerung.