Gabor Steingart hat im „The Pioneer Briefing“ Bundeskanzler Olaf Scholz vorgeworfen, es mit der Wahrheit nicht allzu genau zu nehmen. Konkret warf er dem Kanzler, den er deshalb als „Olaf ‚Pinocchio‘ Scholz“ bezeichnete, an acht Stellen vor, dass es zumindest eine Lücke zwischen der Wahrnehmung des Bundeskanzlers und der realen Wirklichkeit in unserem Land gibt.
Dass es Politiker oftmals mit der Wahrheit nicht allzu genau nehmen, ist hinlänglich bekannt. Auch ist allgemein bekannt, dass gerade Olaf Scholz, wenn es um die Aufklärung des Cum-Ex-Skandals geht, unter Erinnerungslücken leidet, die jeder Steuerzahler nur als Schlag ins eigene Gesicht empfinden kann. Wir bewegen uns deshalb bei der Frage, ob gerade ein Politiker wie Olaf Scholz die Wahrheit sagt, auf sehr dünnem Eis.
Eine der acht Aussagen, die Gabor Steingart dem Kanzler als zumindest Verdrehung der Wahrheit vorhält, ist die Behauptung des Kanzlers, die Deutschen seien ausgesprochen fleißig. „Noch nie haben Deutschlands Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so viele Stunden gearbeitet wie im vorigen Jahr“, sagt Olaf Scholz.
Dem hält Gabor Steingart entgegen: „Wahr ist: Noch nie hat jeder einzelne deutsche Arbeitnehmer so wenige Stunden gearbeitet wie im vorigen Jahr. Im internationalen Vergleich sind die deutschen Arbeitnehmer, die einst als die fleißigsten der westlichen Welt bekannt waren, deutlich abgefallen.“
Die Zahl der Erwerbstätigen steigt, die der geleisteten Arbeitsstunden je Erwerbstätigen sinkt
Verzwickt wird die Angelegenheit an dieser Stelle dadurch, dass beide in gewisser Weise mit ihren Aussagen richtig liegen. Es ist tatsächlich so, dass in Deutschland die durchschnittliche Jahresarbeitszeit von Voll- und Teilzeitbeschäftigten zurückgeht, wenn man sie in Stunden bemisst. In dieser Tabelle fällt Deutschland seit Jahren immer weiter zurück.
Das sieht auf den ersten Blick so aus, als würden die Deutschen immer weniger arbeiten und mehr auf der faulen Haut liegen. Gleichzeitig steigt aber die Zahl der Erwerbstätigen. Es gehen also mehr Menschen einer Arbeit nach, die Zahl der insgesamt geleisteten Arbeitsstunden steig und gleichzeitig leistet jeder einzelne Erwerbstätige immer weniger.
Was im ersten Moment etwas verwirrend erscheint, wird verständlich, wenn man berücksichtigt, dass die Statistik mit den geleisteten Arbeitsstunden nicht zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten unterscheidet. Beide fließen in die Statistik ein und zählen jeweils als eine Arbeitskraft.
Jede Statistik hat ihre eigenen Tücken
Das führt zwangsläufig dazu, dass jene Länder, in denen die Quote der Teilzeitbeschäftigten steigt, eine immer niedrigere Durchschnittsarbeitszeit aufweisen. Deutschland gehört zu diesen Ländern. Sind die Deutschen deshalb fleißiger oder fauler?
Die Antwort hängt davon ab, auf welche Statistik zurückgegriffen wird. Schaut man sich die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden insgesamt an, wird mehr gearbeitet. Bricht man diese Zahl jedoch auf die einzelnen Beschäftigten herunter, scheint es so zu sein, als sei das Land fauler geworden.
Es ist also alles wieder einmal nur eine Frage der Perspektive.