Wladimir Putin ist nicht Napoleon oder Hitler, doch alle eint eine Problemlage, in die sie sich durch ihre Entscheidungen hineinmanövriert haben. Das Problem ist Folgendes: Es braucht nur einen, um einen Krieg zu beginnen. Doch es braucht mindestens zwei, um diesen Krieg auch wieder zu beenden.
Einer allein ist unfähig und hilflos den zuvor verletzten Zustand des Friedens wieder herzustellen, wenn ihm die andere Seite dabei nicht zumindest ein Stück weit entgegenkommt. Selbst vollständige Sieg helfen an dieser Stelle nicht weiter. Wenn die angegriffene Seite selbst nicht friedensbereit ist, wird es keinen Frieden geben.
Eine an sich banale Erkenntnis. Allerdings eine mit oftmals sehr weitreichenden Konsequenzen. Adolf Hitler musste diese Erfahrung machen. Denn obwohl seine Armeen zunächst Polen und anschließend im Westfeldzug auch Frankreich mit einer beeindruckenden Schnelligkeit niederwarfen, blieb der Frieden unerreichbar, weil Großbritannien keinen Frieden mehr mit einem von Hitler geführten Deutschland wollte.
Am Ende sah der deutsche Diktator nur noch die Möglichkeit, den Weg Napoleons zu gehen und den Versuch zu wagen, England vor den Toren Moskaus zu schlagen. Das Ergebnis ist in beiden Fällen bekannt. Und 1812 wie 1941 stellte der Versuch, das eigene strategische Dilemma durch einen gewagten Wurf für sich zu entscheiden, nicht nur den Anfang vom Ende dar.
Werden die Hauswände wieder gesprengt, um einen Weg aus der Sackgasse zu bahnen?
Bezahlt haben diese Radikalisierung Hunderttausende mit ihrem Leben, denn im einen wie im anderen Fall wurde die Auseinandersetzung anschließend wesentlich erbitterter geführt als zu Beginn. Wladimir Putin startet seinen Angriff erst vor wenigen Tagen und steht jetzt schon dem Problemen Hitlers und Napoleons. Er kann zwar den Krieg herbeiführen, den Frieden aber nicht erzwingen.
Selbst eine totale Unterwerfung und anschließende Kontrolle der Ukraine bringt nicht notwendigerweise den benötigten Frieden. Die Lehren, welche die Vereinigten Staaten in Vietnam und im Irak machen mussten, deuten ebenso in diese Richtung wie jene Erfahrungen, die beide Länder im Abstand von zwei Jahrzehnten in Afghanistan machten.
Deutlich wird das Problem auch daran, dass Russlands Präsident schon am vierten Kriegstag meinte, mit seinen Atomwaffen drohen zu müssen. Dass er diese gegenüber dem Westen einsetzen wird, ist unwahrscheinlich, denn wer den roten Knopf als Erster drückt, stirbt als Zweiter. An dieser Stelle ist die grausame Logik des Kalten Krieges immer noch vollkommen intakt.
Die Ukraine hingegen hat keine Atomwaffen mehr. Sie kann nicht in dieser Weise zurückschlagen. Ob Wladimir Putin so verzweifelt ist, dass er diese Option wählen wird, bleibt abzuwarten. Sehr gut denkbar ist jedoch, dass die eingesetzten Mittel schon bald radikalisiert werden, um am Ende doch noch zum gewünschten Ergebnis zu kommen.
Alles unvorstellbar? Leider nicht, denn in jungen Jahren im ersten Tschetschenienkrieg hat Wladimir Putin genau das getan und nicht gezögert, die tschetschenische Grosny von seinen Truppen in Schutt und Asche legen lassen.