Viele träumen derzeit davon, dass die Inflation ihren Höhepunkt erreicht habe und bald zurückgehen werde. Begründet wird diese Ansicht zumeist, dass die Preise für Energie und Rohstoffe schon so hoch gestiegen seien, dass sie von diesem erhöhten Niveau aus nicht noch einmal in der gleichen Stärke ansteigen könnten wie es in den vergangenen zwei Jahren der Fall war.
Dieser Aspekt ist gewiss nicht zu bestreiten, denn allein aufgrund des statistischen Basiseffekts müssten sich im Jahr 2023 gleich hohe nominale Anstieg prozentual schwächer auswirken als noch in 2022, weil das Ausgangsniveau heute deutlich höher liegt als noch vor einem Jahr.
Nicht berücksichtigt bleiben bei dieser Annahme jedoch die Zweitrundeneffekte. Zu ihnen gehören zum Beispiel die Lohn- und Gehaltsabschlüsse des vergangenen Jahres. Für ihre Beschäftigten hat beispielsweise die IG Metall Lohnzuwächse von 8,5 Prozent mit den Arbeitgebern ausgehandelt. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ging zum Ende des letzten Jahres mit einer Forderung von 10,5 Prozent in die Verhandlungen.
Nicht nur die Energierohstoffe treiben die Inflation
An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass sich die Erfahrungen der 1970er Jahre wiederholen könnten. Als Reaktion auf die im Zuge der ersten Ölkrise stark gestiegenen Preise ging die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) unter ihrem damaligen Vorsitzenden Heinz Kluncker mit einer Forderung nach 15 Prozent mehr Lohn und Gehalt in die Verhandlungen mit den öffentlichen Arbeitgebern.
Am Ende einigten sich die Beteiligten auf einen Lohnzuwachs von elf Prozent. Von diesen Zahlen sind wir zwar noch ein Stück weit entfernt, doch die Gewerkschaften sind dabei, den in den 1970er Jahren beschrittenen Weg erneut zu gehen. Da dem so ist, dürfen auch die Konsequenzen recht ähnlich ausfallen.
Erschwerend kommt die Demographie hinzu. Noch vor wenigen Jahren nannte man den demographischen Effekt Facharbeitermangel. Doch inzwischen fehlen den Betrieben nicht nur die Facharbeiter. Auch ungelernte Arbeiter sind nur sehr schwer zu finden. Innerhalb der Tarifverhandlungen verfügen die Arbeitnehmer damit über eine deutlich größere Verhandlungsmacht.
Dass sie diese nicht nutzen, ist kaum anzunehmen und so entsteht auch von dieser Seite ein beständiger Druck auf die Preise. Er wird seinen Teil dazu beitragen, dass die Inflationsrate auch weiterhin unangenehm hoch bleiben wird.