Es wäre Syrien und den Syrern zu wünschen, dass das Land nach mehr als zehn Jahren Krieg und dem damit verbundenen Elend endlich zur Ruhe kommt und wirtschaftlich und kulturell wieder aufgebaut wird. Ob es dazu kommen wird, ist allerdings mehr als zweifelhaft, denn ausländische Interessen bestimmen wesentlich mit, was im Land geschieht oder auch nicht geschieht.
Nach offizieller Lesart auch der westlichen Medien herrscht in Syrien seit zehn Jahren Bürgerkrieg. Das Wort Bürgerkrieg suggeriert, das dort – aus welchen Gründen auch immer – Syrer gegen Syrer kämpfen. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit, denn von Anfang an hatten vom Ausland unterstützte nicht syrische Söldner ihre blutigen Hände mit im Spiel.
Ob die Söldner zur russischen Wagner-Gruppe gehörten, von anderen arabischen finanziert wurden oder eher dem Westen nahestanden, ist unerheblich. Denn im einen wie im anderen Fall wurden sie aus dem Ausland geschickt und von diesem finanziert. Dies alles geschah ohne jegliches UN-Mandat und damit steht sofort die Frage im Raum, ob die Anwesenheit dieser Soldaten aus dem Ausland mit dem Völkerrecht vereinbar ist oder nicht.
Die Bezeichnungen wechseln, die ausländische Einmischung bleibt die selbe
Mal wurden diese ausländischen Truppen als Terroristen, mal als Freiheitskämpfer bezeichnet. Doch unabhängig vom Etikett, das man diesen Söldnern um den Hals hängte, blieb das Faktum, dass ausländische Mächte nicht gewillt waren, die territoriale Integrität Syriens zu respektieren und zu wahren.
Selbst wenn man all das, was bislang geschah, damit rechtfertigt, dass den Syrern dabei geholfen werden sollte, das sie bedrückende Assad-Regime zu stürzen, so bleibt dennoch die Frage, warum die ausländische Besatzung, nun da Baschar-al-Assad das Land bereits verlassen hat und sein Schreckensregime damit Geschichte ist, die Besetzung von Teilen des Landes nicht nur fortgesetzt, sondern sogar ausgeweitet wird.
Warum rücken israelische und türkische Truppen bzw. die von ihnen unterstützten Söldner noch weiter vor, wenn das offizielle Ziel des Regimewechsels bereits erreicht ist? Und was hat das gegebenenfalls noch mit dem Völkerrecht zu tun. Geht es hier wirklich noch um die Belange Syriens und der Syrer? Oder soll in Syrien eine neue Art des Kolonialismus quasi durch die Hintertüre eingeführt werden?
Was sind Regeln noch wert, die im Zweifelsfall beliebig ausgelegt werden?
Eine weitere Frage ist, warum ein Mann, der noch vor kurzem als einer der führenden Köpfe einer Terrororganisation galt und auf dessen Kopf eine Belohnung von zehn Millionen US-Dollar ausgesetzt war, nun plötzlich in den westlichen Medien als „moderater“ Rebell beschrieben wird, während gleichzeitig die Hamaskämpfer immer noch unzweideutig als „Terroristen“ klassifiziert werden.
Wie kann es sein, dass westliche Qualitätsmedien nun jubeln und von einer „Befreiung“ sprechen, während gleichzeitig insbesondere die Syrer christlichen Glaubens unter marodierenden Dschihadisten aus Usbekistan, Turkmenistan oder Tschetschenien leiden und ihnen, wenn es dumm läuft, der Kopf vom Hals abgetrennt wird, nur weil sie einen anderen Glauben haben?
Welchen Wert hat das Völkerrecht, wenn in dieser „regelbasierten“ Weltordnung die Nachbarn ohne jeden Skrupel in einen kollabierenden Staat einfallen dürfen und diesen ganz oder in Teilen einfach übernehmen? Ist das noch Völkerrecht oder einfach nur das Recht des Stärkeren?