Lassen die USA die Ukraine über kurz oder lang fallen und wenden sich Russland zu, um mit Vladimir Putin günstige Rohstoffgeschäfte abschließen zu können? Neu ist diese Angst auf jeden Fall, unberechtigt allerdings nicht. Denn nach dem völlig aus dem Ruder gelaufenen Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus Ende Februar müssen sich die europäischen Staaten einige unangenehme Fragen stellen und diese möglichst schnell auch beantworten.
Zwei Fragen drängen sich dabei besonders auf. Die erste Frage betrifft die weitere Unterstützung der Ukraine. Soll diese fortgesetzt werden, auch wenn sich die USA unter Donald Trump vollständig aus dem Konflikt zurückziehen? Unabhängig davon wie diese Frage beantwortet wird stellt sich auch die zweite Frage mit Nachdruck. Sie betrifft die europäischen Sicherheitsinteressen, denn wenn Donald Trump schon Präsident Selenskyj keine belastbaren Sicherheitsgarantien geben will, welchen Stellenwert hat dann noch Mittel- und Westeuropa für ihn?
Bezüglich der Ukraine vertrat Donald Trump beim Besuch von Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus eine klare Linie. Der ukrainische Präsident habe schlechte Karten, so schlecht, dass er gar nicht das Recht habe, Forderungen zu stellen und außerdem spiele er mit dem dritten Weltkrieg. Das waren harte Wort. Doch haben sie auch einen harten Kern? Oder passten sie nur gerade in die „Verhandlungsstrategie“ des US-Präsidenten gut hinein?
Ein Europa, das sich selbst zu schützen vermag, hat viele Vorteile
Einen dritten Weltkrieg auslösen könnte Präsident Selenskyj nur, wenn er selbst vielen anderen Ländern den Krieg erklären würde. Doch er wird klug genug sein, diesen Weg nicht zu gehen. Sein Blatt ist auch nicht so schlecht wie es Donald Trump bei seinem Besuch im Weißen Haus dargestellt hat, denn die Ukraine hat sich in den letzten Monaten in eine für sie nicht unvorteilhafte Position hineinmanövriert. Dass sie den Krieg verliert, ist keineswegs so klar und unabwendbar wie es Donald Trump und Vladimir Putin darzustellen versuchen.
Vor diesem Hintergrund macht es für Europa auch dann Sinn, die Ukraine weiter zu unterstützen, wenn die USA ihre Hilfe einstellen oder merklich reduzieren. Dass die Kosten hoch sein werden, ist klar. Fraglich ist aber, ob sie nicht noch höher ausfallen werden, wenn man die Ukraine jetzt im Stich lässt und sich dann in einigen Jahren mit einem Russland herumschlagen muss, dass die Ukraine in der Zwischenzeit vollständig geschluckt hat und dann auch über ihr wirtschaftliches und militärisches Potential verfügt.
Donald Trump wird im Januar 2029 das Weiße Haus verlassen und Geschichte sein. Doch auch nach ihm muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass sich die USA primär dem pazifischen Raum zuwenden und ihr Engagement in Europa deutlich zurückfahren. Auf diese Möglichkeit sollten sich die Staaten Europas schon jetzt gemeinsam vorbereiten. Kommt es anders, wird zumindest die Verteidigungsfähigkeit der NATO weiter gestärkt. Wird die Möglichkeit jedoch Realität, steht der alte Kontinent zumindest nicht völlig nackt und schutzlos einem potentiellen Aggressor gegenüber, sondern verfügt über eigene Fähigkeiten zu einer abschreckenden Verteidigung.