Wir spüren derzeit die unmittelbaren Folgen des Kriegs in der Ukraine, denn die Temperaturen werden kälter und in Zentraleuropa geht die Angst um, im kommenden Winter nicht über genügend Gas zu verfügen und möglicherweise die eigene Heizung und die Industrieproduktion abstellen zu müssen.
Die unmittelbaren Folgen sind herausfordernd. Das sollte uns allerdings nicht dazu verleiten, unsere Augen vorschnell vor den langfristigen Konsequenzen des Kriegs und der Entwicklung in der Ukraine zu verschließen. Eine hypothetische Annahme macht deutlich, wie verändernd der Krieg auch in anderen Teilen der Welt wirken kann.
Stellen Sie sich dazu einmal vor, Nord- und Südkorea würden dem deutschen Beispiel folgen und in den nächsten fünf Jahren eine friedliche Wiedervereinigung vollziehen. Die neue Regierung des wiedervereinigten Koreas stünde anschließend vor der Frage, was mit dem umfangreichen Waffenarsenal der beiden einstigen Kriegsgegner zu tun ist.
Viele Panzer, Flugzeuge und Schiffe könnte man getrost verschrotten. Vor allem dann, wenn sie schon etwas in die Jahre gekommen sind. Doch was macht das wiedervereinigte Korea mit den nordkoreanischen Atomwaffen? Gibt man diese auf oder ist es besser, sie zu behalten?
Eine Frage mit weitreichenden Konsequenzen
Die hypothetische Situation würde ein wenig der Lage von Kasachstan, Weißrussland und der Ukraine im Jahr 1991 gleichen. Auch diese drei Länder verfügten nach dem Zerfall der Sowjetunion über Atomwaffen und erklärten sich bereit, diese gegen ein Stück Papier, in dem Russland ihnen ihre territoriale Unversehrtheit garantierte, einzutauschen.
Würde ein wiedervereinigtes Korea einen ähnlichen Weg gehen und seine Atomwaffen verschrotten oder den USA oder möglicherweise der Volksrepublik China übergeben? Der Fall der Ukraine zeigt, wie gefährlich ein solcher Schritt sein kann. Wenn man nun noch bedenkt, dass ein wiedervereinigtes Korea nur gemeinsame Landgrenzen mit Russland und China haben wird, wird schnell deutlich, wie brisant die Frage ist.
Russland macht seit 2014 deutlich, dass es sich weder um völkerrechtlich bindende Verträge noch um die Souveränität eines Nachbarstaates kümmert. Warum sollte es mit einem wiedervereinigten Korea anders umgehen als mit einer souveränen Ukraine, der diese Souveränität einfach abgesprochen wird? Und auch in China könnten sich Hobbyhistoriker wieder daran erinnern, dass die koreanische Halbinsel lange Zeit unter chinesischer Herrschaft stand.
Und nun wieder die eingangs gestellte brisante Frage: Würden Sie als verantwortlicher Regierungschef eines wiedervereinigten Koreas die Atomwaffen aufgeben oder sie doch lieber für den Fall der Fälle behalten?